Hexenblut
dass dieser Zeitpunkt kommen würde, an dem ich gegen dieses Verschwiegenheitsgelübde verstoßen muss.« Er atmete tief durch. »Aber ich bin der Priester, und ich werde mit den Konsequenzen zurechtkommen müssen.«
»Wie viele Mitglieder Ihres Zirkels sind gestorben?«
»Über die Jahre hinweg?«, gab er zurück und schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Der Zirkel existiert seit der Zeit der Ältesten, geschaffen wurde er von denen, die überlebt hatten. Verschwiegenheit entschied für sie über Leben und Tod. Die meisten von denen, die nach Lancaster Castle gingen, bekannten sich zur Hexerei, und sie starben für ihre Geständnisse. Also schwiegen die Hinterbliebenen, um nicht ebenfalls ihr Leben zu riskieren. Phasenweise war der Zirkel nur sehr klein, wenn die allgemeine Stimmung gegen uns war. Heute dagegen ist die Gesellschaft eine andere. Wir haben uns weiterentwickelt, und die Menschen sind bereit, unsere Kunst zu akzeptieren.«
»Dann habe ich heute Abend eine vierhundert Jahre alte Tradition erlebt?«, fragte ich fasziniert.
»Nein, das ist nicht der Fall. Es ist unsere Zeremonie, deren Form wir selbst festgelegt haben. Zeitweise bestand unser Zirkel aus so wenigen Angehörigen, dass die alten Traditionen verloren gingen. Und es geht bei der Kunst auch nicht darum, alte Traditionen nachzuvollziehen. Es ist ein moderner Glaube, und wir entwickeln unsere eigenen Zeremonien. In der Hexenkunst gibt es keine festen Regeln.«
»Wie kann es ein Glaube sein, wenn es keine Regeln gibt?«, wunderte ich mich.
Er lächelte, allerdings auf eine überhebliche Art, so wie ein Vater es einem Kind gegenüber tut, wenn es eine einfache Erklärung nicht verstanden hat. »Ihr Glaube arbeitet mit festen Regeln«, erläuterte er. »Unser Glaube befreit. Wir haben einige Leitprinzipien, weiter nichts.«
»Zum Beispiel?«
»Beantworten Sie mir zuerst eine Frage. Was glauben Sie, was Hexenkunst alles umfasst?«
Ich überlegte, aber ich konnte mich nicht von den Vorstellungen aus Mythen, Legenden und Klischees befreien, zu denen alte Frauen mit hässlichen Fratzen gehörten, die auf Besen umherflogen. Dann fiel mir die Zeremonie ein, die ich mit angesehen hatte. »Mir erscheint das wie ein spirituelles Ventil für alle, die an etwas glauben wollen, was ihnen erlaubt, sich außerhalb der Konventionen zu bewegen«, antwortete ich schließlich.
»So wie ein Haufen fehlgeleiteter Hippies?«
Ich musste lächeln. »Das habe ich nicht gesagt. Aber ich glaube, wenn Hexenkunst die Norm wäre, dann wären sie alle Christen. Das Wichtigste für sie ist es, außerhalb der Normen zu leben.«
»Sehe ich etwa aus, als würde ich außerhalb der Konventionen leben?«
Ich betrachtete seine Kleidung, die ramponierten Wildlederschuhe, die schmutzige Jeans. »Vielleicht haben Sie sich ja getarnt«, mutmaßte ich.
»Das könnte der Wahrheit näher kommen, als Sie es für möglich halten würden. Und vielleicht steckt ja tatsächlich in jedem von uns ein Hippie, denn bei uns dreht sich alles um Frieden, Liebe und Natur. Eines unserer Grundprinzipien besagt: ›Tu, was immer du willst, solange du damit keinem anderen schadest.‹«
»Das macht auf mich den Eindruck einer sonderbaren Spiritualität, wenn jeder tun kann, was er will«, erwiderte ich. »Wie kann einer von ihnen sicher sein, dass sie alle dem gleichen spirituellen Weg folgen?«
»Es gibt einige Grundsätze für unseren Glauben«, antwortete er. »Wir feiern alle den Sabbat, und wir akzeptieren das Prinzip der dreifachen Wiederkehr.« Er erahnte meine Frage und lieferte sogleich die Antwort. »Was immer wir tun, kommt dreifach zu uns zurück. Wenn wir unsere Zauberkräfte für das Gute einsetzen, werden wir dreifach dafür belohnt. Wenn wir damit Böses bewirken, werden wir von einem dreimal so schlimmen Übel heimgesucht.«
»Sozusagen eine Rückversicherung gegen Schurken in den eigenen Reihen«, sagte ich.
»Ja, das kann man so ausdrücken«, stimmte er mir zu.
»Dann verwenden Sie Zaubersprüche?«, warf Laura ein und klang skeptisch. Ich wusste, sie war deutlich religiöser als ich, und für sie gab es nur einen Gott.
»Das ist richtig. Ich weiß, die meisten Leute lachen darüber, aber es gehört zu unserem spirituellen Weg, zu meinem Glauben, und ich schäme mich nicht dafür. Das ist nichts anderes, als wenn Sie in Ihrer Kirche ein Gebet sprechen oder die Hostie und den Messwein empfangen.«
»Ich dachte, die Pendle-Hexen waren Frauen, denen man zu Unrecht
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