Hexenblut
die großen Respekt genießt. Wir haben einen Polizisten, einen Amtsrichter, einen Steuerberater, Sarah ist Lehrerin. Der Gedanke an Hexen und Hexerei bereitet immer noch vielen Menschen Unbehagen. Sie glauben, wir würden Menschen opfern oder Babys rauben. Sie wissen schon, dieser ganze Schwachsinn, der den Leuten durch den Kopf geht, wenn sie das Wort Hexe hören. Hokuspokus, dreimal schwarzer Kater und so weiter.«
Ich sah zu Laura, die genau das Gleiche gesagt hatte, doch sie wich meinem Blick aus.
»Dann sind Sie hergekommen, um mir von Sarah zu erzählen, weil Sie glauben, sie wird morgen sterben?«, vergewisserte ich mich.
Er nickte und zog einen Zettel aus der Tasche. »Das ist eine Liste aller Personen unseres Zirkels, die in den letzten zehn Jahren verschwunden oder ums Leben gekommen sind. Letzteres ereignete sich immer an einem unserer Sabbate. Morgen steht wie gesagt der wichtigste Feiertag für uns an, und falls Sarah in Gefahr ist, wird sie morgen sterben.«
Ich nahm die Liste an mich und las sechs Namen. Einige waren mir bei meinen Recherchen untergekommen, ein paar kannte ich nicht. »Und was erwarten Sie, dass ich tue? Sagen Sie es mir.«
Er sah mich irgendwie verloren und unsicher an. »Helfen Sie uns. Sie sind Journalist, Sie können so etwas publik machen.«
»Warum wenden Sie sich nicht an die Polizei?«
Schnaubend erwiderte er: »Können Sie sich vorstellen, wie man bei der Polizei reagieren wird, wenn ich mich mit diesen Dingen dorthin wende? Man wird mich unter schallendem Gelächter wegschicken. Das wird passieren.«
Mir entging nicht, dass Laura den Blick senkte.
»Sie können uns helfen«, fuhr er flehend fort. »Vielleicht ist es dann für Sarah zu spät, damit müssen wir rechnen. Aber Sie können über diese Zusammenhänge berichten, ohne Namen zu nennen. Dann nimmt die Polizei davon vielleicht Notiz und findet denjenigen, der für diese Morde verantwortlich ist.«
»Woher wollen Sie wissen, ob Sarah nicht tatsächlich eine flüchtige Mörderin ist?«, hakte ich nach.
»Weil ich Sarah kenne«, antwortete er. »Ich weiß, wie sanftmütig und liebevoll sie ist. Ich kenne die Versprechen, die sie vor den Brüdern und Schwestern des Zirkels abgelegt hat. Die Sarah, die ich kenne, würde niemals das tun, was die Polizei ihr unterstellt.«
Er stand auf und ging zur Tür.
»Was werden Sie für Sarah tun?«, fragte ich.
»Wir haben morgen unsere Zeremonie, es ist Samhain, und das werden wir feiern. Wir werden auf jeden Fall für Sarah beten. Wenn unser Glaube stark genug ist, wird es vielleicht gut ausgehen.«
Ich gab Olwen die Hand, um mich zu verabschieden, und nachdem ich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, drehte ich mich zu Laura um. »Was denkst du?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Aber wenn Olwen recht hat und Sarah nicht die Mörderin ist, dann bleibt uns nicht mehr viel Zeit, um nach ihr zu suchen.«
58
S arah schlug die Augen auf und holte tief Luft. Ihr Körper fühlte sich schwach an, weil sie zu lange nichts mehr zu essen bekommen hatte. Dazu gesellte sich ihre Übermüdung, die sie Dinge sehen ließ, die gar nicht da waren – zum Beispiel, dass die Wände im Takt der Herzschläge aus den Lautsprechern pulsierten.
Aber sie hatte ein wenig Kraft schöpfen können, indem sie an die Dinge gedacht hatte, die sie zurückhaben wollte: ihre Eltern, ihre Schüler, ihre Freunde. Sie versuchte zu lauschen, ob außer den Herzschlägen noch irgendetwas zu hören war, doch deren Dröhnen war so laut, dass es jedes andere Geräusch überlagerte. Sie konnte nur hoffen, dass sie nicht gestört wurde.
Sie zog die Decke von den Schultern und stellte sich hin. Ihre Knie knackten. Nach einem Schritt über den Rand des Kreises hinweg ging sie zur Tür und legte ein Ohr an das Holz. Die Herzschläge waren einfach zu laut.
Ihr Blick fiel auf den Boden unter ihren Füßen. Er bestand, wie im Rest ihrer Zelle, aus festgetretener Erde, nur war er hier noch etwas kompakter.
Sie nahm eine der Federn und zog sie über den Boden, sodass eine Kerbe entstand. Sie kratzte weiter, diesmal mit mehr Druck, und aus der Kerbe wurde eine etwas breitere, tiefere Furche.
Ihr Plan stand fest: Wenn es ihr gelang, ein ausreichend tiefes Loch zu graben, konnte sie vielleicht unter der Tür hindurch entkommen. Was sie auf der anderen Seite erwartete, wusste sie nicht, aber zumindest eröffnete sie sich so eine Chance, die ihr Hoffnung geben konnte.
Sie legte sich auf den Boden und versuchte,
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