Hexenblut
wir uns auf ›Sarah‹ einigen? Das ist der Name, unter dem ich sie kenne, und es fällt mir schwer, sie plötzlich anders zu nennen.«
Er dachte einen Moment lang darüber nach, dann willigte er ein: »Wenn Ihnen das lieber ist.«
»Also, warum wird Sarah morgen sterben?«, fragte ich.
»Weil Samhain ist, unser höchster Feiertag, unser wichtigster Sabbat.«
»Sabbat?«
»Ein Festtag«, erklärte er. »Diejenigen, die die Kunst praktizieren, begehen vier Hauptfesttage im Jahr, unsere Sabbate. Morgen ist der höchste. Wir nennen ihn Samhain.«
»Morgen ist Halloween«, warf Laura ein.
Der Priester nickte. »So nennen Sie es.« Auf Lauras ratlosen Blick hin führte er aus: »Ihr Halloween hat sich aus unserem Festtag und dem keltischen heraus entwickelt. Das keltische Neujahr wurde Ende Oktober begangen, es kennzeichnete das Ende des Herbstes, wenn die Ernte eingebracht worden war. Vor den Menschen lagen die dunklen Wintermonate. Die Kirche versuchte das zu ändern und führte Allerheiligen ein, doch die alten Traditionen überdauerten die Zeit. Für uns ist es ein besonderer Tag, ein Anlass zum Feiern.«
Von einem schlechten Gewissen erfasst, sah Laura auf den Tisch, wo neben dem ausgehöhlten Kürbis Bobbys Geistermaske lag.
»Sie sprachen davon, dass Sarah morgen sterben wird«, sagte ich. »Würde sie sich tatsächlich an einem so besonderen Tag das Leben nehmen?«
Olwen schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich sprach nicht von einem Selbstmord.« Als ich daraufhin Laura einen flüchtigen Blick zuwarf, fügte er hinzu: »Sie haben heute Abend davon gesprochen, dass Mitglieder unseres Zirkels gestorben sind und dass es Ihnen vorkäme, als seien wir vom Unglück verfolgt.«
»Nein, das ist nicht ganz richtig«, widersprach ich ihm. »Es ging darum, dass Nachfahren von Anne Whittle gestorben oder verschwunden waren. Wer zu Ihrem Zirkel gehört, weiß ich nicht.«
Er beobachtete mich, und ich konnte ihm anmerken, dass er nervös war. Laura versuchte, einen entspannten Eindruck zu machen, aber ihr wachsamer Blick verriet mir, dass sie aufmerksam zuhörte.
»Wir sind der Familienzirkel«, erklärte er ernst. »Wir praktizieren alle die Hexenkunst, und wir gehören alle einer besonderen Blutlinie an.«
Ich dachte an den Stammbaum in Sarahs Haus und an die Zeremonie in der Scheune. »Die Pendle-Hexen?«, fragte ich und täuschte Erstaunen vor.
»Wir nennen sie die Ältesten«, erwiderte er bestätigend. »Sie starben für ihren Glauben, aber …« Er machte eine verwirrte Miene. »Mich würde interessieren, wie Sie so schnell dahintergekommen sind.«
Laura schaute mich unruhig an. Allerdings wusste ich auch so, dass ich Sarahs Briefe nicht erwähnen durfte. »Bei meiner Recherche hat mir Sarahs Mutter den Stammbaum gezeigt. Sie sprach von Gerüchten, die besagten, ein Fluch läge auf der Familie, weil so viele aus dem untersten Bereich des Stammbaums, also aus der heutigen Generation, so jung gestorben sind.«
Er schien sich unbehaglich zu fühlen und wischte sich über die schweißnasse Stirn.
»Fühlen Sie sich nicht wohl, Mr Smith?«, fragte Laura.
Kopfschüttelnd beugte er sich vor und sagte: »Was ich Ihnen jetzt anvertrauen werde, ist für mich von äußerster Wichtigkeit.«
»Bitten Sie mich nicht, Stillschweigen zu wahren«, warnte ich ihn. »Ich bin Reporter, und wenn es eine gute Geschichte ist, werde ich darüber schreiben.«
»Was ist mit Identitäten und Quellen?«
Ich dachte kurz nach. »Namen kann man ändern oder ihre Nennung umgehen. Und meine Quellen gebe ich nie preis.«
Ihm war anzusehen, dass er abwägte, wie viel er mir verraten sollte. Letztlich jedoch seufzte er, als sei ihm klar geworden, dass er diese Entscheidung längst getroffen hatte, als er sich auf den Weg hierher machte.
»Wir alle haben einen Eid abgelegt, als wir uns unserer Kirche anschlossen«, erklärte er mit festerer Stimme, als sei er froh über seinen Entschluss, sich jemandem anzuvertrauen. »Es war ein Eid der Verwandtschaft, der Verschwiegenheit. Die Ältesten waren gestorben, weil sie seinerzeit zu viel gesagt hatten. Wir werden unsere Geheimnisse mit ins Grab nehmen.«
»Aber haben Sie nicht auch gelobt, sich gegenseitig zu beschützen?«
»Deswegen bin ich hier.« Seine Augen nahmen für einen Moment einen traurigen Ausdruck an. »Wir können nicht zulassen, dass noch jemand stirbt. Wir haben darüber geredet und versucht, einen Weg zu finden, wie wir uns schützen können. Trotzdem wussten wir alle,
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