Hexenblut
unterstellt hat, Hexen zu sein«, wandte ich ein. »Wenn das stimmt, dann gibt es für Ihren Zirkel gar keine Grundlage.«
»Mit den Theorien kann man ganze Regalwände füllen«, sagte Olwen. »Was uns alle miteinander verbindet, ist die Tatsache, dass die Ältesten sich zu ihrer Hexenkunst bekannt haben. Wären sie in Ihrer Kirche gewesen, dann würden Sie sie als Heilige bezeichnen, die für ihre Überzeugung gestorben sind. In Ihrer Kirche und Ihrer Geschichte werden sie als geistesgestörte alte Frauen hingestellt, die sich zu Taten bekannten, die sie nicht einmal begriffen haben. Ihre Kirche tat das, was sie immer tut, wenn es um einen anderen Glauben geht: Sie diffamierte den Glauben, und was sie davon nicht aus der Welt schaffen konnte, verleibte sie sich ein.«
»Aber wieso sollten Sie damit recht haben?«, hielt ich dagegen. »Sie nehmen bei dem Thema wohl kaum eine neutrale Haltung ein.«
»Unterscheidet uns das von irgendeinem anderen Glauben?«, fragte er.
»Wie sind Sie überhaupt mit dem Zirkel in Kontakt gekommen?«, wollte Laura wissen. »Wenn alles so verschwiegen ist, dann werden Sie doch wohl keine Kleinanzeigen aufgeben, oder?«
»Jemand, den ich seit langer Zeit kannte, horchte mich aus. Ein Onkel von mir. Ich wusste, ich war ein Nachkomme, doch mir war nicht bewusst gewesen, dass mein Onkel mich auf die Probe stellte, um mein Interesse zu ergründen. Ich entstamme einer anderen Linie als Sarah, nämlich der von Alice Nutter, aber wir gehören alle zum gleichen Stammbaum.«
»Und deshalb benutzen Sie dieses Symbol, das sich auf dem Grabstein der Nutters befindet?«, fragte ich.
Olwen hielt inne und musterte mich. Ihm wurde offenbar klar, dass ich mehr wusste, als ich ihm gegenüber erkennen ließ. »Sie haben gründlich recherchiert«, sagte er leise.
»Und wie haben Sie Sarah rekrutiert?«
»Sarah kam zu uns. Wir lernten sie auf einem heidnischen Festival kennen, und als sie feststellte, dass wir aus Lancashire waren, blieb sie bei uns und sagte, sie suche nach Antworten. Ich zeigte ihr den Weg, und als ich mich mit ihrer Vorgeschichte beschäftigte, fand ich heraus, dass sie ebenfalls eine Nachfahrin war. Also unterrichtete ich sie in der Hexenkunst und führte sie in den Zirkel ein.«
»Wie alt war sie da?«
»Achtzehn. Ich glaube, es war ihr persönlicher Weg in die Selbstständigkeit. Je mehr sie sich mit der Kunst beschäftigte, umso deutlicher wurde ihr, dass unsere Ideale ihren eigenen entsprachen.«
»Dann ist man nicht automatisch eine Hexe, wenn man von einer Hexe abstammt?«
»Nein«, entgegnete er. »Ich folge der Kunst, weil sie mein Glaube ist. Allerdings beschränkt sich unser Zirkel auf Nachfahren, weil wir etwas haben, das uns miteinander verbindet. Im ganzen Land gibt es Tausende von praktizierenden Hexen, wir sind da nichts Besonderes. Aber alle haben sie ihre eigenen Regeln, was die Aufnahme in den jeweiligen Zirkel angeht.«
»Und warum glauben Sie, dass Sarah morgen sterben wird?«
Auf diese Frage hin lehnte sich Olwen in seinem Sessel nach hinten und atmete tief durch. Als er zu sprechen begann, blickte er zu Boden. Mit einem Mal wirkte er sehr müde, und mit einer Hand strich er flüchtig über sein Haar. »Weil die Mitglieder unseres Zirkels, die über die Jahre eines gewaltsamen oder unnatürlichen Tods starben, stets an einem der Sabbate aus dem Leben schieden. Morgen ist unser höchster Sabbat, und deshalb glaube ich, dass ihr morgen die größte Gefahr droht.«
Ich ging zum Tisch, wo ich den Ausdruck des Stammbaums hingelegt hatte. »Das heißt, die Frauen, deren Tod ich recherchiert habe, waren Mitglieder Ihres Zirkels?«
Er nickte und seufzte schwer. »Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen. Wenn Sie bereits so weit vorgedrungen sind, werden Sie auch noch weiter recherchieren, und dabei würden Sie ohnehin alles über uns in Erfahrung bringen. Wir haben uns zur Verschwiegenheit verpflichtet, aber wenn dieser Schwur früher oder später ohnehin gebrochen wird, dann lieber jetzt, wo wir noch versuchen können, Sarah zu retten. Wenn wir sie finden, dann finden wir vielleicht auch denjenigen, der die Todesfälle zu verantworten hat.«
»Wieso spielt die Verschwiegenheit eine so große Rolle?«, wollte ich wissen.
»In früherer Zeit mussten Menschen wegen unserer Kunst sterben«, erklärte er finster. »Heute will man uns zwar nicht mehr umbringen, aber man könnte uns in den Ruin treiben. Einige in unserem Zirkel haben eine gesellschaftliche Stellung,
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