Hexenblut
verstehen.«
»Warum versuchen Sie’s nicht zu erklären?«, forderte ich ihn auf.
Dan schüttelte den Kopf. »Hier geht es nicht um Sie.«
»Aber was hat Ihnen den meisten Spaß gemacht?«, hakte ich nach. »Ich möchte den Grund erfahren, und ich möchte wissen, was Sie davon hatten.«
Wieder beobachtete er seinen Sohn, der einen Eimer trug und ein paar Drähte über den Boden zog.
»Sie wollen den Nervenkitzel erleben, aber kein Risiko eingehen«, gab er zurück. »So wie alle anderen sind Sie bis zuletzt ein Feigling.«
»Das ist nicht wahr!«, protestierte ich und versuchte weiter, ihn abzulenken und den letzten Augenblick hinauszuzögern. »Ich will nur mein Wissen erweitern, damit ich Menschen wie Sie verstehen kann«, ergänzte ich, um seinem Ego zu schmeicheln.
»Aber Menschen wie mich werden Sie niemals verstehen«, gab Dan herablassend zurück. »Leute wie Sie können mich nicht verstehen, weil Sie nicht über den Rand Ihrer eigenen kleinen Welt sehen können, in der alles in Ordnung ist, wo es keine Ängste und keine Gefahren gibt.«
»Vielleicht gibt es ja auch gar nichts zu verstehen«, konterte ich in der gleichen herablassenden Art. »Vielleicht haben Sie einfach nie aufgehört, der kleine Junge zu sein, der Tiere gequält hat, und das nur aus dem einen Grund, weil in Ihnen eine Grausamkeit steckt, die Sie einfach nicht kontrollieren können.«
Dan Mather kam näher, seine Zähne waren gebleckt, Speichel ließ seine Lippen glänzen. »Haben Sie sich schon mal vorgestellt, von einem Hochhaus zu springen?«, fragte er leise. »Lebend in die Tiefe zu stürzen, zu wissen, dass es kein Zurück und keine Rettung gibt, während der Boden mit jeder Sekunde näher kommt? Was würde Ihnen dann durch den Kopf gehen?«
Ich dachte darüber nach und versuchte, Dan in ein Gespräch zu verwickeln. »Das könnte vieles sein. Vielleicht würde ich an meine Familie denken.«
»Aber warum haben Sie an die nicht früher gedacht? Selbstmord ist eine so egoistische Angelegenheit.«
»Okay, wie wäre es damit, dass ich die Situation akzeptiere? Oder dass ich Reue empfinde? Vielleicht Trauer, dass mein Leben eine solche Wendung genommen hat? Oder Angst vor dem, was jeden Moment kommen wird, dieser Sekundenbruchteil des Schmerzes?«
Dan verzog den Mund zu einem Lächeln. »Jetzt begreifen Sie’s. Die Frage ist, wie es sich anfühlen wird.«
»Das klingt ganz interessant, aber ich kann auch ohne dieses Wissen glücklich sein.«
»Ich will es trotzdem wissen«, erklärte er und strahlte mich an. »Dieser Moment zwischen Leben und Tod, die Erkenntnis in ihren Augen, die Angst. Ich will diesen Moment erleben, ich will in sie hineinschauen, um diesen letzten Gedanken zu kosten, um einen Blick in den Abgrund zu werfen.«
»Und das gibt Ihnen den ultimativen Kick?«
Er lachte amüsiert. »Wenn man dem ultimativen Kick nachjagt, kann man nicht glücklich werden.«
»Und warum interessieren Sie sich dabei nur für junge Frauen?«, wollte ich wissen.
Er zuckte leicht zusammen, und ich sah, dass Laura den Kopf schüttelte. Ihr war klar, was ich vorhatte, aber ihre Botschaft lautete: Nichts überstürzen.
»Das ist eine Sache, die ich nicht verstehe«, redete ich weiter. Ich wusste, ich musste ein Risiko eingehen und versuchen, ihn zu provozieren, damit er die Kontrolle über sich verlor. »Wenn Sie an diesem Wissen interessiert waren, warum haben Sie dann bei der Auswahl ihrer Opfer nicht etwas variiert? Was ist so Besonderes an den letzten Momenten im Leben einer hübschen jungen Frau?«
Er kniff ein wenig die Augen zusammen. »Darum ging es nicht.«
»Um was ging es dann, wenn Sie die Frauen würgten und vergewaltigten? Es hatte doch nicht nur mit den Hexen zu tun, nicht wahr? An wem wollten Sie sich in Wahrheit rächen?«
Tom stellte einen Eimer auf den Boden. Er war mit Schwarzpulver gefüllt, das er auf die Farbdosen verteilte. Dabei beobachtete er die ganze Zeit seinen Vater und mich.
»Nur der eine Moment zählt«, sagte Dan mit leiserer Stimme. »Diese letzten Sekunden der Panik, wenn sie wissen, dass sie sterben werden. So als würde ihr Leben vor meinen Augen vorüberziehen.«
»Aber was sollen die Frauen Ihnen sagen?«, bedrängte ich ihn. »Sollen sie Ihnen sagen, dass es ihnen leidtut?« Dan fühlte sich sichtlich unbehaglich, also machte ich weiter, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen. »Wessen Gesicht sehen Sie vor sich, wenn sie sterben? Das Ihrer Mutter?« Als Dan mich zornig anschaute, ergänzte
Weitere Kostenlose Bücher