Hexenblut
lassen. Erneut war alles ruhig, und Carson musste an Laura denken. Ob sie das Gespräch wohl mithörte? Es gab Spezialisten für diese Art von Gesprächen, Spezialisten, die mit Geiselnehmern in ausweglosen Situationen verhandeln konnten. Er selbst war keiner von diesen Spezialisten.
Es dauerte jedoch nicht lange, da meldete sich Dan wieder zu Wort. »Mein Sohn hält eine Schrotflinte auf den Kopf Ihrer werten Kollegin gerichtet, und er hat einen etwas nervösen Zeigefinger«, meinte er höhnisch. »Also noch mal. Ich will ein paar von Ihren Leuten hier drinnen sehen, dann kann sie gehen.«
»Und was ist mit den Sprengladungen?«
Dan begann zu lachen. »Das kleine Miststück hat ja nicht lange gebraucht, um Ihnen das zu erzählen, wie? Na, dann kann ich Ihnen ja auch etwas anvertrauen: Wenn Sie versuchen, mich zu verarschen, dann lasse ich die Babys hochgehen, und Sie dürfen der Familie Ihrer Polizistin erklären, warum sie in tausend Stücke zerrissen wurde. Ich lasse mich auf keinen Deal ein. Entweder Sie kommen her, oder Sie können Ihrer Kollegin ein schönes Ableben wünschen.«
Nach einem Blick zu Joe fragte Carson: »Kann ich Sie zurückrufen?«
Einen Moment lang dachte Dan darüber nach, dann antwortete er: »Fünf Minuten.« Die Leitung wurde unterbrochen.
Carson seufzte schwer und dachte über Joes Bemerkung nach: Es ging um Kontrolle. Dan musste im Glauben gelassen werden, dass er Herr der Lage war. Und er durfte nicht den Eindruck bekommen, dass Carson mit ihm spielte oder ihn unterschätzte. Carson sah auf das Telefon. Seine Hand war schweißnass. Das war es also. Die nächsten dreißig Minuten würden über Leben und Tod einiger Menschen entscheiden.
* * *
Als Dan sein Telefon weglegte, fragte ich ihn: »Sind Sie fest entschlossen zu sterben?«
Er schaute mich an, und ich erkannte, dass er ein wenig von seiner Arroganz verloren hatte. An ihre Stelle war ein Ausdruck getreten, der auf mich wirkte, als habe er sich in sein Schicksal ergeben.
»Die Briefe waren Katies Idee, nicht Ihre«, fuhr ich fort. »Aber warum hat Tom dabei mitgemacht?« Ich sah zu Dans Sohn, der das Gewehr weiterhin auf Laura gerichtet hielt. Der Lauf war jedoch ein wenig nach unten gesunken, und Tom schien von meinen Worten nichts mitzubekommen. War er mit seinen Gedanken bei Katie, die ihn verraten und im Stich gelassen hatte?
»Er wollte ebenfalls, dass das Morden aufhört«, redete ich weiter. »Deshalb hat er Sarah die Briefe schreiben lassen. Er ist nicht wie Sie.«
Ein Lächeln spielte um Dans Mundwinkel. »Vielleicht stimmt das.« Er warf einen Blick aus dem Fenster in die Richtung, in die Katie davongelaufen war. »Manchmal will eine Frau ein wildes Leben führen, denkt aber, es ist alles nur ein Spiel. Wenn es zu wild wird, dann wollen sie auf einmal aussteigen.«
»War das bei April auch so?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »April war anders. Sie wusste nichts davon.« Er musterte Tom. »Katie hat ihn verändert. Wenn ein Mann seine erste richtig gute Nummer schiebt, passiert so was. Ein Mann sollte sich dann nach einer anderen umsehen, weil solche Frauen nur Ärger bedeuten. Wenn ein Mann es nicht mehr bringt, lässt die Frau ihn sitzen.«
»Wie viel hat Katie gewusst?«
»Alles«, antwortete er wütend. »Ich habe die Begeisterung in ihren Augen gesehen, und wie ihre Wangen sich vor Aufregung gerötet haben.«
»Und jetzt erzählt sie ihre Version der Geschichte«, betonte ich. »Wie wird es weitergehen?«
Nachdenklich kratzte er sich das Kinn und betrachtete die Blechdosen, die zu Bomben umfunktioniert worden waren. »Wir sind als Nächstes an der Reihe, würde ich sagen.«
»Aber Sie könnten doch allen die Wahrheit über sie erzählen, sonst kommt sie mit ihrer Version ungeschoren davon und schiebt Ihnen die ganze Schuld in die Schuhe.«
Dan schüttelte den Kopf. »Glauben Sie, das würde irgendetwas ändern? Ich töte Menschen, und Tom tut das ebenfalls.«
»Aber warum? Sie hören sich an, als wüssten Sie, dass es falsch ist.«
Er seufzte und ballte die Fäuste, dabei kniff er die Augen fest zu, als müsse er mit aller Macht gegen einen inneren Dämon ankämpfen. Ich sah zu Laura, die mir fast unmerklich zunickte. Offenbar fand sie, dass ich auf dem richtigen Weg war.
»Wissen Sie«, sprach Dan auf einmal weiter, »wie das ist, wenn man mit jemandem zusammenlebt, der einen einfach nicht in Ruhe lassen will?« Seine Augen waren noch immer zugekniffen. »So ist das in meinem Kopf. Da
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