Hexenblut
versuchte, den Mann, der ihr gegenübersaß, nicht anzusehen. Die Plastikstühle waren am Boden festgeschraubt, damit kein Gefangener damit um sich werfen konnte. Sie saßen in einem der Verhörzimmer am Ende des Zellenkomplexes. Kein Fenster, kein Tageslicht. Der Boden war übersät mit platt getretenen Kaugummis und den Brandspuren unzähliger Zigarettenkippen, die ein Zeugnis aus der Zeit vor dem Rauchverbot darstellten. Pete saß neben ihr und hatte sich nach vorn gebeugt, was den beengten Raum noch etwas kleiner wirken ließ.
Der Mann ihr gegenüber war bei einer Schlägerei festgenommen worden, bei der er jedem ein Veilchen verpasst hatte, der ihm zu nahe gekommen war. Erst eine Ladung Pfefferspray hatte ihn zu Boden geworfen, wo er wegen seiner brennenden Augen zu heulen begann. Damit hatte ihn auch sein Mut verlassen. Mittlerweile hatte er seinen Rausch größtenteils ausgeschlafen. Dafür kämpfte er damit, sein Frühstück bei sich zu behalten. Er hatte sich bereits auf seinen Pullover erbrochen, und jedes Mal, wenn ihm nun der Mageninhalt hochzukommen drohte, drückte er diesen Pullover an seinen Mund. Laura schob ihm mit dem Fuß den Eimer hin und schüttelte den Kopf, während sie durch den Mund zu atmen versuchte. Davon hatte beim Vorstellungsgespräch niemand ein Wort gesagt.
Pete Dawson machte eine frustrierte Miene. »Sieht nicht so aus, als ob er uns was erzählen wird«, sagte er zu Laura. »Der Richter wird daraus wohl seine eigenen Schlüsse ziehen müssen.«
»Meinen Sie, es wird überhaupt zu einer Verhandlung kommen?«, fragte der Rechtsbeistand des Gefangenen, ein junger Bursche in einem glänzenden Nadelstreifenanzug und mit zu viel Gel im Haar, der so aussah, als wäre er lieber viel weiter von seinem Mandanten entfernt, als es der festgeschraubte Stuhl zuließ.
»Mit Ihnen habe ich nicht gesprochen«, fuhr Pete ihn gereizt an.
»Okay«, erwiderte der junge Mann, dessen überhebliches Grinsen Pete dazu zwang, tief durchzuatmen, um seine Wut in den Griff zu bekommen. Dann drehte der Anwalt sich zu seinem Mandanten um und meinte theatralisch: »Sagen Sie’s doch noch einmal, weil’s so schön war.«
Der Gefangene hielt sich den Pullover vor den Mund und gab mit gedämpfter Stimme zurück. »Kein Kommentar.«
Laura wandte sich ab, als der Gestank aus dem Pullover ihr ins Gesicht wehte. Dieses »Kein Kommentar«-Gehabe raubte ihr die Nerven, auch wenn sie wusste, dass es der richtige Ratschlag war. Die anderen Beteiligten wollten nichts preisgeben, und wenn er kein Geständnis ablegte, dann stand er am Ende als Sieger da.
»Unterbrechen wir das Verhör für den Augenblick«, sagte Laura. »Ich glaube, wir können alle etwas frische Luft gebrauchen.«
Während Pete das Tonbandgerät ausschaltete, fügte sie noch an: »Wir werden uns ansehen, was die Überwachungskameras aufgenommen haben. Ihr Mandant kann ja so lange in seiner Zelle darüber nachdenken.«
Als sie von Pete gefolgt zur Tür ging, verriet ein Würgen ihr, dass der Gefangene den Kampf gegen seinen Brechreiz verloren hatte. Nach dem Fluch zu urteilen, den sein junger Rechtsbeistand ausstieß, hatte er es nicht mehr bis zum Abfalleimer geschafft.
Im Korridor drehte sie sich zu Pete um und lächelte ihn an. »Das Verhörzimmer wird für eine Weile außer Betrieb sein.«
»Meinst du, wir hätten warten sollen?«, fragte er. »Damit er sich erholt? Er kann noch immer nicht klar denken.«
Sie schüttelte den Kopf. »Sein Anwalt würde ihm das Gleiche raten, nur hätte er dann noch saubere Schuhe. Ich glaube, so ist es mir viel lieber.«
»Und jetzt?«
Laura sah auf die Uhr. Die Zellen waren voll, die anderen Kollegen vom Team hatten genug damit zu tun, sich mit den übrigen Verhafteten zu beschäftigen. Also wäre jetzt eigentlich der Zeitpunkt gekommen, um sich den nächsten auf der Liste vorzunehmen.
»Wie gesagt, ich gehe jetzt ins Rathaus und sehe nach, ob die Kameras was aufgenommen haben. Vielleicht haben die Jungs ja mal was anderes als Liebespärchen zu bieten.«
Pete verzog das Gesicht. Die Mitarbeiter, die die Kamerabilder überwachten, vertrieben sich die Zeit bei der Nachtschicht gern damit, nach betrunkenen Pärchen Ausschau zu halten, die in irgendwelchen Gassen hinter dem erstbesten Müllcontainer übereinander herfielen. Allerdings hatten zwei von ihnen erst vor Kurzem ihren Job verloren, da ihnen eine Schlägerei entgangen war, bei der ein Opfer ins Koma fiel. Pete war derjenige gewesen, der den Eltern
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