Hexenblut
Fußboden außerordentlich bequem schien. Zum Glück war der Lärm aus den Lautsprechern verstummt, und mithilfe der Decke konnte sie sich vor der grellen Beleuchtung schützen.
Die Panik hatte nachgelassen, als die Wirkung der Drogen abgeklungen war. Sie tippte auf LSD, aber das war eine reine Vermutung, da sie keine Erfahrung mit Drogen hatte. Allerdings kannte sie die einschlägigen Songs der Beatles, und was da beschrieben wurde, kam ihrer eigenen Erfahrung recht nahe. Hatte man die Drogen der Pilzsuppe beigemischt?
Sie versteifte sich, als sie von oben ein Geräusch hörte. Schritte kamen die Treppe hinab. Vor ein paar Minuten waren die dröhnenden Herzschläge verstummt, und ihre Ohren horchten angestrengt auf jeden noch so winzigen Laut. Nichts war zu hören gewesen, nur Stille. Doch als sie jetzt die Schritte vernahm, da wusste sie, es konnte nur bedeuten, dass jemand zu ihr kam. Unwillkürlich zuckte sie zusammen, als die Tür aufgerissen wurde.
Sie roch das Essen, noch bevor sie es sehen konnte. Der Duft genügte, um ihr Angst zu machen. Zu erschreckend war die Erinnerung daran, was geschehen war, als sie das letzte Mal etwas zu sich genommen hatte. Die Mahlzeit danach hatte sie gar nicht erst angerührt, weil sie befürchtete, abermals unwissentlich Drogen zu sich zu nehmen. Aber jetzt knurrte ihr der Magen. Das letzte Mal hatte sie es überstanden, und vielleicht würde das ja jetzt auch wieder der Fall sein. Das Essen roch verlockend, und sie musste bei Kräften bleiben.
Ihre Hände umfassten den Saum ihrer Decke. Sie könnte auf den Mann zustürmen, die Decke um seinen Hals wickeln und mit aller Kraft zuziehen. Ihren Zorn auf ihn nutzen. Es könnte ihr gelingen, ihn zu überwältigen und diese Zelle zu verlassen. Es war ihr egal, ob sie ihn dabei töten würde. Ja, sie wollte ihn umbringen, sie wollte hören, wie er um Gnade bettelte. Sie wollte ihm die Kapuze vom Kopf reißen und ihm in die Augen sehen, wenn aus seiner Überraschung Angst wurde, sobald er erkannte, dass er verloren hatte.
Sarah wusste, sie musste sich erst mit den Routineabläufen vertraut machen, wenn sie den idealen Moment finden wollte, um zuzuschlagen. Dann dachte sie an das Essen, denn solange er ihr noch Essen brachte, konnte ihre Zeit noch nicht gekommen sein.
Sie lag ganz ruhig da und lauschte den Geräuschen, bis sie schließlich hörte, wie die Schritte in die Zelle kamen. Ein Schritt, zwei Schritte, drei Schritte, dann eine Pause. Das Tablett wurde auf dem Boden abgestellt, und der Mann atmete hörbar aus, als er sich wieder aufrichtete.
Dann folgte Stille. Sie wusste, er beobachtete sie. Sie lag ruhig da, ganz ruhig, nur seine Atemzüge waren zu hören. Was hatte er vor?
»Wem vertraust du?«, fragte er mit tiefer, gedämpfter Stimme.
Sarah drehte sich zu ihm um. »Was meinen Sie damit?«
»Vertraust du dem Essen oder deinem Körper? Du willst das Essen haben, aber du hast Angst. Überwinde deine Ängste. Ich habe das auch getan.«
»Und welche Ängste mussten Sie überwinden?«, gab Sarah verärgert zurück.
»Es ist nicht wichtig, welche Ängste das sind. Es ist die Unfähigkeit, diese Ängste zu überwinden, die dich zurückhält. Du lebst dein Leben in Angst und Schrecken, so wie es die meisten Menschen tun. Sie machen sich Sorgen in Bezug auf Geld, in Bezug auf den Tod, sie haben Angst, dass sie etwas falsch machen könnten, dass ihnen jemand auf die Schliche kommt.«
»Und das macht Ihnen keine Sorgen?«
»Mache ich auf dich den Eindruck, als wäre ich besorgt?« Als sie nichts erwiderte, schüttelte er den Kopf. »Natürlich habe ich keine Angst. Darum bin ich ja auch anders als du.«
»Haben Sie keine Angst, dass man Ihnen auf die Spur kommt?«
Er lachte. »Damit sind wir wieder bei den Konsequenzen unseres Handelns, Sarah. Die Angst vor den Folgen ist das, was dich daran hindert, so zu sein wie ich. Darum können Männer in den Krieg ziehen und kämpfen. Sie können töten, ohne die Konsequenzen zu fürchten. Wenn du deine Angst abschütteln kannst, wirst du frei sein.«
»Macht Sie das auch zu einem besseren Menschen, als ich es bin?«, wollte sie wissen.
»Ich bin ein besserer Mensch als du. Ich sehe die Dinge, Sarah. Ich sehe sie so, wie sie sein sollen. Ich könnte dir zeigen, wie das geht. Keine Einschränkungen mehr, keine Ängste. Denk an all deine Fantasien und greif nach ihnen.«
»Ich möchte nur hier raus.«
»Das ist gut, Sarah. Greif danach, hab keine Angst.«
Dann wandte er sich
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