Hexenblut
unter ihren Augen erkennen. Offenbar hatte sie geweint, und es sah ganz danach aus, dass sie gleich wieder in Tränen ausbrechen würde.
»Ist schon gut«, sagte ich und berührte leicht ihren Arm, um sie zu besänftigen. »Was ist denn los? Was ist passiert?«
Sie wischte über ihre Augen und atmete tief durch, um sich wieder zu sammeln. »Ich war gerade nach Hause gekommen. Nachdem du weg warst, bin ich noch mal losgegangen, um ein paar Besorgungen zu machen. Als ich dann zurückkam, fand ich das im Briefkasten.« Mit diesen Worten hielt sie mir ein gefaltetes Stück Papier hin, das sie aus ihrer Hosentasche gezogen hatte.
»Was ist das?«
Erneut holte sie tief Luft. »Wieder ein Brief von Sarah.«
Ich sah zwischen dem Blatt und ihr hin und her, dann griff ich in meine Hosentasche, um mich zu vergewissern, dass ich die beiden Ausdrucke nicht verloren hatte. »Hat jemand sie persönlich eingeworfen?«, fragte ich.
Katie nickte bedächtig. »Die Post kommt viel früher, und ich hatte den Briefkasten bereits geleert.«
Ich nahm das Blatt entgegen. Auseinanderfalten wollte ich es nicht, ich wollte es nur in meinem Besitz haben. Ich drehte den Brief in meiner Hand um. Es war billiges liniertes Papier, die Sorte, die man bei jedem Schreibwarenhändler ebenso bekam wie in einem x-beliebigen Supermarkt. Es würde sehr schwierig werden, die Herkunft dieses Papiers zurückzuverfolgen.
»Wie lange warst du unterwegs?«, wollte ich wissen.
Sie dachte kurz nach. »Nicht lange. Vielleicht eine halbe Stunde.«
»Hast du bei den Nachbarn nachgefragt? Du weißt schon, ob einer von ihnen gesehen hat, wer den Brief eingeworfen hat? Ob sie etwas gehört haben?«
Katie schüttelte den Kopf. »Ich bin sofort hergekommen.«
Einen Moment lang dachte ich besorgt darüber nach, wie Laura wohl reagieren würde, doch ich wusste auch, ich wollte mehr herausfinden. Also drückte ich die Haustür auf und sagte: »Du solltest besser reinkommen.«
* * *
Rod nahm einen Schluck von dem Kaffee, der so heiß war, dass die Windschutzscheibe beschlug. Er hatte ein Fleckchen an einem alten Feldweg ausfindig gemacht, von dem aus er Abigails Cottage im Blick hatte. Das Gebäude aus grauem Stein war inzwischen nur noch ein Schemen, von dem sich das schwache rötliche Licht der Fenster abhob. Über eine Stunde lang beobachtete er das Haus bereits, erfolglos.
Er griff nach dem Sandwich mit gebratenem Hähnchen, das seine Frau ihm mitgegeben hatte, da sie in Sorge war, er könnte verhungern, wenn er mal ein paar Stunden lang nichts aß. Während er abbiss und kaute, meldete sich das Funkgerät, und er hörte eine Meldung über jemanden, der in einem der umliegenden Dörfer in fremde Häuser starrte, außerdem gab es einen Notruf, dass die Dieseldiebe wieder zugeschlagen hatten. Ein ganz normaler Abend.
Rod reagierte auf keine dieser Durchsagen, denn er hatte sich hier auf einen langen Abend eingestellt. Bis Mitternacht würde er warten, und wenn sich bis dahin nichts geregt hatte, wollte er sich auf den Heimweg machen.
Bislang war alles ruhig geblieben. Er wickelte die Alufolie um das Sandwich und stellte den Becher neben die Thermoskanne. Sein Wachdienst würde noch einige Stunden in Anspruch nehmen.
Als er wieder aus dem Wagenfenster sah, bemerkte er eine Bewegung. Es war doch immer das Gleiche! Sobald er für ein paar Sekunden wegschaute, ereignete sich irgendetwas.
Durch sein Fernglas sah er, dass die Haustür offen stand. Dann huschte ein Schatten über den Weg vor dem Haus. Er nahm das Fernglas runter, um besser verfolgen zu können, wohin der Schatten wollte. Plötzlich wurde ihm klar, dass der sich geradewegs auf seinen Wagen zubewegte. Er schaltete die Scheinwerfer ein und seufzte schließlich. Es war Abigail, die eine Decke in der Hand hielt.
»Wenn Sie mich schon beobachten«, meinte sie und gab ihm die Decke, »dann achten Sie wenigstens darauf, dass Ihnen nicht kalt wird.« Mit diesen Worten machte sie kehrt und humpelte zurück zu ihrem Cottage.
Rod betrachtete die Decke und sah Abigail nach, die in den Schatten verschwand. Unwillkürlich musste er lachen, dann ließ er den Motor an. Er wusste, heute Abend würde er hier nichts Interessantes mehr sehen.
32
L aura kam nach unten, gerade als Katie mir ins Haus folgte. Im ersten Moment reagierte sie verärgert, weil sie sich fragte, was die junge Frau hier zu suchen hatte, und weil sie wusste, dass Katie eine Zeugin im Fall Sarah Goode war. Doch als sie sah, dass Katie geweint
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