Hexenblut
»Glaubst du, wir können sie finden?«
»Überlasst das mal der Polizei«, warnte mich Laura.
»Aber es wäre eine fantastische Geschichte, wenn uns das gelingen würde.«
»Nein, Jack«, ging meine Freundin noch energischer dazwischen.
»Selbst wenn ich nicht nach ihr suchen sollte«, gab ich zurück, »werde ich diesen Artikel schreiben. Mir bleibt ja wohl kaum eine andere Wahl.«
Laura sah mich daraufhin verärgert an, doch was hätte ich sonst sagen sollen? Ich wusste, ich konnte diese Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen, jetzt weniger denn je. Ich musste an die Mordkommission denken und malte mir aus, wie ungehalten diese Kerle reagieren würden, und allein das war die Sache wert. Doch das war nicht das Einzige. Ich fühlte mich, als hätte ich das wiederentdeckt, was mir an meinem Job immer so viel Spaß gemacht hatte: die Begeisterung, einer Story auf der Spur zu sein, von der außer mir niemand etwas ahnte. Mein Name unter der Schlagzeile.
»Es ist ihre Handschrift«, erklärte Katie und sah uns beide an. Dann verschwand ihr Lächeln, und sie fügte traurig an: »Die arme Sarah.«
»Wieso ist sie die arme Sarah?«, wollte Laura wissen. »Wenn sie jemanden ermordet hat, dann muss sie dafür bestraft werden.«
»Aber was hat sie dazu veranlasst?«, gab Katie zurück. »Was immer in ihrem Leben auch passiert ist, dass sie sich zu so etwas hinreißen lassen konnte, macht mich traurig, und sie tut mir dafür leid. Das ist alles.« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß, Sarah hat es getan. Das sagt die Polizei ja schließlich auch. Bloß passt das gar nicht zu ihr.«
»Wenn ich an all die Verbrechen zurückdenke, über die ich geschrieben habe«, sagte ich, »dann kommt es mir so vor, dass die offensichtliche Antwort auch immer die richtige war.« Aber als Katie den Blick senkte und zustimmend nickte, fügte ich hinzu: »Trotzdem stört mich eine Sache.«
Katie hob den Kopf. »Was denn?«
»Warum wendet sie sich mit ihren Briefen an dich?«, überlegte ich. »Wenn sie ein Geständnis ablegen will, warum tut sie das nicht einfach? Warum geht sie nicht zur nächsten Polizeiwache und erzählt, was passiert ist?«
»Es klingt nach einem Hilferuf«, meinte Laura. »Vielleicht will sie gefunden werden, weil sie Angst hat und nicht weiß, was sie tun soll.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wenn das ein Hilferuf sein soll, dann liefert sie nicht gerade nützliche Hinweise. Hier findet sich kein Hinweis auf ihren Aufenthaltsort.« Plötzlich fiel mir etwas ein. »Mit welcher geschichtliche Epoche befasst du dich im Studium?«
»Moderne Geschichte«, antwortete Katie. »Die Sechziger, die Kennedys und so weiter. Wieso?«
»Ich musste nur gerade an den Sprachstil denken«, erklärte ich. »Er klingt so antiquiert, und mir kam in den Sinn, wenn du Historikerin bist, könnte das absichtlich so geschrieben sein, damit dir etwas ins Auge fällt. Beispielsweise eine verschlüsselte Nachricht.«
»Ist aber nicht der Fall«, antwortete Katie.
»Darüber soll die Polizei sich den Kopf zerbrechen«, sagte Laura. »Versprich mir, dass du den Brief gleich morgen früh abgibst.«
»Natürlich werde ich das tun.« Katie klang ein wenig beleidigt.
»Ich will den Brief wenigstens noch fotografieren«, warf ich ein, »damit ich meinen Artikel illustrieren kann.«
Laura sah mich ernst an, als ich mit meiner Kamera wiederkam. Während ich Fotos schoss, ließ Katie verlauten: »Ich möchte nicht nach Hause gehen.«
»Wieso nicht?«, fragte ich.
»Weil Sarah jetzt drei Briefe persönlich bei mir eingeworfen hat«, entgegnete sie. »Und derjenige im Haus, mit dem sie zuletzt gesprochen hat, ist mit einem Messer in seiner Brust gestorben.«
»Wenn du willst, kannst du bleiben«, platzte ich heraus, doch als ich Lauras aufgebrachten Blick bemerkte, fügte ich rasch hinzu: »Jedenfalls für heute Nacht.«
Unter Tränen lächelte sie mich an. »Danke, Jack, ich weiß das sehr zu schätzen.«
Nach Lauras Gesichtsausdruck zu urteilen, war sie nicht annähernd so dankbar.
33
S arah schreckte hoch. Die Lautsprecher waren wieder angegangen, der Herzschlag dröhnte durch ihre Zelle. Sie legte sich die Decke um den Kopf, um den Lärm zu dämpfen. Es war bereits spät am Tag, das merkte sie daran, wie kalt ihre Nasenspitze geworden war.
Sarah verspürte schon wieder Hunger, und sie war müde. Diese Müdigkeit überkam sie in Wellen, dieses überwältigende Verlangen, sich hinzulegen und einzuschlafen. Aber das
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