Hexenblut
Weißdornbaum blieb er stehen. Von hier aus konnte ich die Felder überschauen, die jenseits des Kirchhofs waren und windgeschützt zwischen ihren steinernen Feldmauern lagen.
»Hier ist sie«, verkündete er. »April Mather.«
Mir fiel auf, dass er nicht auf einen großen Grabstein zeigte, sondern auf eine kleine Granittafel mit Goldschrift, auf der ein paar weiße Lilien lagen. Im Andenken an April, unsere geliebte Tochter und Mutter unseres Enkels Tom. Das Grab lag weit weg von den anderen und praktisch am äußersten Rand des Kirchengrundstücks.
»Es gibt kein Grab?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Ihr Ehemann wollte das nicht. Er hat April einäschern lassen, aber ihre Eltern sind überzeugte Kirchgänger, also ließen sie diese Tafel hier anbringen, damit sie auf das Land hinaussah, das sie so geliebt hatte.«
»Und was ist mit Rebecca Nurse?«, hakte ich nach. »Die junge Frau, die tot an einem Bach gefunden wurde. Ist sie auch hier beerdigt?«
Der Pfarrer dachte kurz nach. »Die junge Frau vom Sabden Brook. Ja, ich erinnere mich an sie, und auch an ihre Familie. Aber ich glaube, die Familie überwarf sich mit Gott, als Rebecca ermordet wurde. Sie wurde ebenfalls eingeäschert.«
»Für so ein kleines Dorf sind das ziemlich viele Tragödien«, gab ich zu bedenken.
»Auch kleine Dörfer haben ihre Tragödien, nur fallen sie dort viel mehr auf.«
Ich entfernte mich von der Granittafel und bekam das Gefühl, dass der Pfarrer mich auf Schritt und Tritt verfolgen würde, solange ich mich auf dem Kirchengrundstück aufhielt. Das ganze Dorf würde mich nicht aus den Augen lassen, mich, den Eindringling. Ich verabschiedete mich und ging zum Tor. Als ich an der Straße angelangt war, warf ich noch einen Blick über die Schulter und sah, dass er mich unverändert beobachtete.
Mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich sah auf mein Diktiergerät. Zwar hatte der Pfarrer es bemerkt, aber dass ich es eingeschaltet hatte, kaum dass er zu reden begann, war ihm jedoch entgangen. Die ganze Zeit über hatte ich den Daumen auf dem roten Kontrolllicht ruhen lassen.
Die Story nahm immer größere Dimensionen an.
48
L aura sah sich im Korridor um und hielt Ausschau nach Joe Kinsella. Sie wusste, sie sollte die Dinge weitergeben, die Jack am Tag zuvor über die Briefe herausgefunden hatte, und wahrscheinlich war er der Einzige aus der Mordkommission, der ihr zuhören würde. So unsympathisch ihr Carson auch war, änderte es nichts daran, dass sie Polizistin war und dass Verbrecher ihrer Meinung nach hinter Schloss und Riegel gehörten.
Sie seufzte. Es herrschte reges Kommen und Gehen in dem Raum, aber Joe ließ sich nicht blicken.
»Er hat’s dir angetan, wie?«, meinte Pete grinsend.
Laura drehte sich hastig um und merkte, wie sie sofort rot wurde. »Wer?«
»Tu nicht so unschuldig«, gab er lachend zurück. »Joe Kinsella. Du stehst hier und wartest auf ihn.«
»Nein, das ist gar nicht wahr«, widersprach sie, obwohl sie es besser wusste. Schließlich räumte sie ein: »Vielleicht gibt es da etwas, das ich ihm sagen muss.«
»Zum Beispiel, dass du gern mit ihm irgendwo was trinken gehen würdest?«
»Pete, ich bin in einer festen Beziehung!«
»Und warum hast du dann beim Parfüm zweimal zugelangt und dich für deinen besten Anzug entschieden?«
Laura sah nach unten. »Das ist gar nicht mein bester Anzug«, widersprach sie, lächelte dann aber. »Aber es kann natürlich sein, dass ich in dem Anzug verdammt gut aussehe.«
Pete schüttelte den Kopf. »Er hat schon ganz andere Frauen abblitzen lassen.«
»Herzlichen Dank!«, prustete sie.
»Ich sag dir nur, wie’s ist. Joe geht an seinem Arbeitsplatz keine Beziehungen ein, das ist alles. Er trennt sein Privatleben strikt von seinem Job.«
»Und was spielt sich in seinem Privatleben so ab?«
»Darüber redet er nicht«, erwiderte Pete.
Laura seufzte aufgebracht. »Du stellst es so hin, als ob ich was von ihm wollte. Dabei will ich nur ein paar Informationen weitergeben, sonst nichts.«
»Wenn du es sagst.« Er sah auf seinen Papierkram.
Sie versuchte, sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren, aber es fiel ihr schwer. Pete hatte sie aus dem Konzept gebracht, und dann bemerkte sie auch noch eine Bewegung im Flur. Joe Kinsella.
Sie wollte eben aufstehen, da folgte Pete ihrem Blick und sagte: »Und, wirst du zur Stalkerin?«
»Damit hat das nichts zu tun«, zischte sie ihm zu, doch er saß nur da und lächelte vor sich hin. Laura sah, wie
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