Hexenerbe
sie. Ihre Kehle brannte, und sie schluckte den Drang hinunter, sich zu übergeben.
Nur diese letzte Sache, dann verschwinde ich von hier, versprach sie sich. Sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte, aber auf jeden Fall weit, weit weg, zum Teufel mit den anderen und mit ihrem Studium. Die halbe Universität ist abgebrannt, verdammt noch mal, und hier bin ich allen egal. Sie spürte eine heiße Träne über ihre Wange rinnen.
Vorhin war es Pablo gelungen, sich für einen kurzen Augenblick mit Barbaras Geist zu verbinden. Seine Beschreibung dessen, was er gesehen hatte, war Kari sehr bekannt vorgekommen, denn sie hatte jahrelang Mythen, Religionen und Okkultismus studiert. Pablos Schilderung und ihr eigenes Wissen über die Kultur der australischen Aborigines hatten ihr einen Anhaltspunkt geliefert.
Also hatte sie im Internet weiter recherchiert. Sie hatte alle stark frequentierten Websites und Foren gemieden und die wenigen Internetseiten herausgepickt, die wirklich esoterisches, geheimes Wissen enthielten - Wissen, das man schon gezielt suchen musste, um es finden zu können.
Schließlich lehnte sie sich mit einem triumphierenden Seufzen auf dem Stuhl zurück und rieb sich die Augen. Sie wusste jetzt, was mit Barbara nicht stimmte und was sie tun mussten, um sie zu retten. Das herauszufinden war der einfache Teil gewesen. Was als Nächstes kam, würde hässlich werden.
Teil drei
Ostara
Wer in einem derartigen anderen Bewusstseinszustand stirbt, der ist wahrhaftig tot. Dies wirft die Frage auf: Sind Träume wirklich immer nur Träume?
Cesar Phillips, 1874
Zehn
Sodalith
Feuer im Inneren, Feuer von außen
Wir sehen sie brennend im Kreis sich drehen
Sie tanzen für uns, sie flehen und stöhnen
Mit rauchendem Fleisch und brennenden Knochen
Wir tanzen von Erden dem Himmel entgegen
Und suchen die Göttin hoch oben zu finden
Befreit aus dem Netz des sterblichen Lebens
Denn nun kocht unser Hexenblut
Van-Diemens-Land, 1790
»Sir Richard«, murmelte der unterwürfige Sträfling, der sich auf der Schwelle verneigte. Der Londoner war in Lumpen gekleidet und hatte sämtliche Zähne verloren. Ein wirklich abstoßender Mann. Doch da er bei seiner Verhaftung in London - er hatte einen Laib Brot gestohlen - verkrüppelt worden war, taugte er nicht Feldarbeit oder Holzfällerei. Deshalb hielt Sir Richard Moore ihn als Hausdiener.
Richard blickte von seinem Brief auf und zog die Augenbrauen hoch.
Der Sträfling duckte sich wie unter einem Peitschenhieb ... von denen er sehr viele bekommen hatte, bis dieses Geschöpf gelernt hatte, höher gestellten Personen den angemessenen Respekt zu erweisen.
»Die Eingeborene, die wo Ihr sehen wollt, ist da.«
»Sehr schön«, sagte Richard Moore. »Bring sie in zwei Minuten herein.«
»Ja, Sir.«
Der Sträfling ging rückwärts hinaus und schloss respektvoll die Tür.
Sir Richard wandte sich wieder seinem Brief zu, der voller guter Neuigkeiten steckte. Er kam von seinem jüngeren Bruder Edward.
Wir Moores gewinnen im Coven weiterhin an Macht, nicht zuletzt dank der wundersamen Magie, die Du in jenem gottverlassenen Land, in das Du entsandt wurdest, erlernen konntest. Vater erwartet gespannt Deine nächste Entdeckung, und ich ebenfalls.
Die Deveraux setzen ihre Suche nach dem Schwarzen Feuer in den amerikanischen Kolonien fort, doch sie ist nach wie vor erfolglos. Sie sind das Gespött des Obersten Zirkels, und ich glaube, wir brauchen von dieser Seite nichts zu befürchten.
Der Gehörnte Gott schenkt unserem Haus weiterhin seine Gunst und verachtet die Opfer der Deveraux. Wofür ich auch Dir zu danken habe.
E.
»Ausgezeichnet«, murmelte Sir Richard. Er faltete das kostbare Papier zusammen und schloss die oberste Schreibtischschublade auf, in der er seine private Korrespondenz verwahrte. Hieraus entnahm er ein Bündel Briefe, löste das hellrote Band darum, legte den Brief seines Bruders obenauf und verschnürte den Packen wieder.
Er war eben dabei, das Bündel in die Schublade zurückzulegen, als es an der Tür klopfte.
»Herein«, sagte er freundlich.
»Da war sie, Sir Richard«, verkündete der Londoner, der die Tür geöffnet hatte.
Richard war verblüfft. Die Aborigine war die schönste Frau, die er je gesehen hatte, und nie im Leben hätte er es für möglich gehalten, dass ein Mann wie er, ein Mann von Stand, so etwas auch nur denken könnte. Sie trug europäische Kleidung aus feinen Stoffen - ein dunkelblaues Kleid mit einem Schultertuch aus Spitze
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