Hexenerbe
und eine Morgenhaube, wie eine vornehme Dame sie tragen könnte. Als sie anmutig knickste, regte sich sein Blut, und er ließ sich herab, sie mit einem leichten Nicken zu begrüßen.
Der Londoner verließ das Zimmer, und Richard sagte: »Schließe die Tür.«
Die Frau betrachtete ihn. Er bemerkte, dass ihre Augen verblüffend grün waren.
»Dein Name.«
»Ihr könnt mich Aliki nennen«, sagte sie und lächelte ihn kokett an. »Das ist unsere Aussprache von >Alice<.«
»D arin steckt doch irgendein Scherz«, vermutete er, da er nicht verstand, was sie damit sagen wollte.
»Eines Tages wird es eine berühmte Geschichte von Alice geben, einem Mädchen, das Abenteuer an magischen Orten erlebt«, erklärte sie. »Aber jetzt noch nicht.«
Er betrachtete sie, noch immer unsicher, was seine eigene Rolle in dieser Unterhaltung anging. »Ich verstehe. Und wird diese Geschichte von dir handeln?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Doch das wird für mich nicht von Bedeutung sein.«
Er kam sich ein wenig veralbert vor und beschloss, gleich die Hauptsache zur Sprache zu bringen. »Ich habe von deinen Fähigkeiten als Hexe gehört.«
Neckisch stemmte sie die Hände in die Hüften. »Und ich von Eurem Interesse an solchen Fähigkeiten.«
Er neigte den Kopf zur Seite. »Hast du dein Äußeres verändert, um anziehender auf mich zu wirken?«
Sie lachte, antwortete jedoch nicht. Dann blickte sie sich in seinem Arbeitszimmer um und erklärte unverblümt: »Ich bin erschöpft und durstig, Sir Richard.«
Er rief den Londoner herbei, der einen Stuhl, eine Flasche portugiesischen Rotwein und zwei Kelche brachte. Sir Richard schenkte ein und trank auf Mistress Alikis Wohl.
Sie nippte sehr vornehm an ihrem Kelch, und der Blick, mit dem sie ihn über den Rand des Glases ansah, war warm und einladend. Dann hielt sie sich den Kelch vor die Brust und sagte: »Ich kann Euch die Geheimnisse der Traumzeit zeigen.«
»Tatsächlich?« Er beugte sich fasziniert vor.
»Tatsächlich«, versprach sie. »Noch heute Nacht.«
Der Dreifache Zirkel, Seattle
Jer hörte sein Herz hämmern. Ob das an Hollys Gegenwart lag oder an dem Blutritual der Aborigines, an dem er teilnehmen würde, wusste er nicht recht.
Sie standen zusammen in der Mitte von Dans Wohnzimmer, nur mit einfachen ledernen Lendenschurzen und, in Hollys Fall, einem T-Shirt bekleidet. Beide waren barfuß. Kari hatte darauf bestanden, dass ihre Kleidung der Tradition der Aborigines so ähnlich wie möglich sein müsse.
Dan trat ernst vor sie und begann, Hollys Gesicht zu bemalen. Die Muster, Linien und Symbole waren Jer fremd, doch er wusste, dass sie von den australischen Ureinwohnern stammten. Dan und Kari hatten jeder auf seine Art lange recherchiert und die Geheimnisse der Alcheringa, der Traumzeit, erkundet. Als Dan mit Holly fertig war, bemalte er auch Jers Gesicht. Jer wusste nur zu gut, wie hässlich er war und dass die Bemalung den makabren Effekt noch steigerte.
Falls er alles richtig verstand, was Kari ihnen nüchtern erklärte, war die Traumzeit die Zeit vor der Geschichte, vor der Erschaffung der Welt und des Menschen. Jedoch war sie auf unbegreifliche Weise mit dem Land verbunden und ihre Schwingung an bestimmten Orten stärker, als sei der Vorhang zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dort sehr dünn. Den Aborigines zufolge erzählte das Land auch die Geschichten vom Anfang der Schöpfung, und bestimmte Landmarken, wie etwa Ayers Rock, bezeugten diese.
»Die australischen Ureinwohner glauben, dass jeder Ort mit seiner Geschichte verbunden ist und sowohl ein physisches als auch ein spirituelles Wesen hat«, endete Kari.
»Die Traumzeit ist also eine Art Astralebene?«, fragte Holly.
»Ja, aber sie ist noch mehr als das. Eher eine Astralebene einer anderen Dimension.«
»Wie meinst du das?«, fragte Nicole.
Kari seufzte übertrieben genervt. »Wenn du eine normale Astralreise unternehmen würdest, könntest du nur das sehen, was dir bekannt ist. Du würdest das Haus verlassen und das Nachbarhaus sehen und die Autos auf der Straße. Dein Geist spaziert einfach nur ohne deinen Körper herum. In der Traumzeit siehst du vielleicht auch ein paar vertraute Landmarken, zum Beispiel die Bucht oder einen Berg, aber der existiert in einer völlig anderen Umgebung. Da sind dann keine Häuser, oder wenn doch, dann ganz sicher nicht die, die wir sehen können, wenn wir aus dem Fenster schauen. Dort gibt es vielleicht nicht einmal Menschen. Diese Dimension
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