Hexenfluch: Roman (German Edition)
Kristen nickte. »Wo schläfst du?«
»Im zweiten Stock. Nach hinten raus, zum Park hin.«
Viel zu nah bei ihren Lieblingen. »Direkt hier unter dem Penthouse gibt es eine leere Suite. Zwei Zimmer und ein eigenes Bad. Nicht groß, und vermutlich liegt der Staub zentimeterhoch. Die Schlüsselkarte steckt hinter dem zweiten Gauguin rechts neben der Tür. Nimm sie dir und gib sie nicht mehr aus der Hand. Du wirst selbst sauber machen müssen. Aber von heute an schläfst du da.« Eine Kaskade von Gefühlen huschte über das Gesicht des Jungen. Kristen gab vor, es nicht zu bemerken. »Schaff deine Sachen jetzt gleich dahin.« Wenn es überhaupt etwas dorthin zu schaffen gab. »Wenn dir jemand deshalb dumme Fragen stellt, sagst du, ich wollte meinen … Lehrling in meiner Nähe haben. Wenn ihm etwas daran nicht passt, soll er zu mir kommen. – Und jetzt verschwinde. Ich muss noch arbeiten.«
Der Kleine schluckte, nickte, wandte sich zur Tür.
»Warte!« Erneut drehte Mikah sich zu ihm um. »Vielleicht solltest du darüber nachdenken, von jetzt an überwiegend deine Wolfsgestalt zu tragen.«
Diesmal brauchte der Bengel länger, bis er begriff. Doch dann erschien ein schnelles, feines Lächeln auf seinen Lippen, ehe er ein weiteres Mal nickte und sich endgültig trollte. Kristen sah nachdenklich die Tür an. War es richtig, was er gerade getan hatte? Wie lange hatte er sich diese Frage nicht mehr gestellt? Aber was hätte er damals nicht darum gegeben, jemanden zu haben, der ihm half, damit umzugehen, ihm einen Ausweg zeigte. Auch wenn er nur wenige Stunden hielt. Mit einem Ruck drehte er sich um und ging zu seinem Schreibtisch hinüber. Allerdings wäre er damals vermutlich zerbrochen, wenn so jemand für ihn existiert hätte. Nur gab es einen Unterschied zwischen ihm und dem kleinen Wandler. Einen verdammt großen. Der Kleine konnte nichts dafür, dass er hier war. Er hingegen war selbst schuld. Kristen ließ sich in den ledernen Schreibtischsessel fallen. Besoffener Narr, der er damals gewesen war, war er auf Marishs unschuldige Augen und süße Worte hereingefallen. Er ganz allein. Es war nicht fair, Line dafür verantwortlich zu machen. Sie hatte nur ihrem großen Bruder helfen wollen. Dass ihre Bemühungen nach hinten losgegangen waren, dafür konnte sie nichts.
Dafür konnte niemand etwas.
Außer ihm selbst.
13
Die sechs jungen Männer, die sich unter einer Straßenlaterne um einen leicht angerosteten Ford geschart hatten, hätten jeden veranlasst, in die andere Richtung zu gehen. Zwei von ihnen hingen in der offenen Motorhaube und begutachteten irgendetwas darunter. Alles an ihnen schrie ›Gang‹. Nur hatte Ella einerseits keine andere Wahl, als den Weg an ihnen vorbei zu nehmen, um zu ihrem Wagen zurückzukommen. Andererseits hatte sie gerade Romans Großmutter, Mrs. Groner besucht. Roman – wie auch sein jüngerer Bruder Cammy – liebte seine Großmutter abgöttisch. Und er war der unumstrittene Herrscher in dieser Gegend.
Trotzdem hatte sie Herzklopfen, als sie mit jedem Schritt näher an die sechs herankam. Nein, sieben. Eben schob sich noch einer unter dem Kotflügel des Ford heraus. Dass Ella in dieser Gegend auch um diese Uhrzeit noch unbehelligt auf die Straße konnte, hatte nur etwas damit zu tun, dass Mrs. Groner sie mochte. Und Roman, der »gute Junge«, würde der Lieblingsärztin seiner Großmutter niemals etwas antun – oder etwas antun lassen. Im Gegenteil. Das änderte allerdings nichts daran, dass sie sich sehr wohl bewusst war, dass jeder von ihnen eine Waffe trug und nicht zögern würde, sie zu benutzen. Nun ja. In Afrika hatten solche jungen Männer oft genug mit gezogenen Waffen vor ihr gestanden. Musste sie da nicht theoretisch an so etwas gewöhnt sein? Sie verzog die Lippen. Nein. An so etwas gewöhnte man sich nie.
Müde strich sie sich die Haare aus dem Gesicht und suchte dann in ihrer Hosentasche nach einem Gummiband, um sie im Nacken zusammenbinden zu können. Mist. Die falsche Jeans. – Zu Hause wartete die letzte Tasse von Havreux’ Tee auf sie. Nachdem er gegangen war, hatte sie noch eine schiere Ewigkeit auf dem Sofa gesessen und versucht, irgendwie mit dem klarzukommen, was er ihr offenbart hatte. Einerseits weigerte sie sich noch immer, ihm zu glauben. Andererseits machte keine der Alternativen, die ihr Verstand anbot, wirklich Sinn. Auch eine heiße Dusche hatte sie nicht weitergebracht. Also war sie ans Meer gefahren. Nicht nach Malibu Beach oder
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