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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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Dabei stieß er versehentlich eine junge Frau mit schwarzem Haar und schmalen, verkniffenen Lippen an. An ihrer Brust hielt sie einen in Tüchern gehüllten Säugling. Die Frau blickte ihn an – und erstarrte. Langsam schüttelte Raphael den Kopf. Er betete, dass sie verstand und den Mund hielt. Da senkte sie den Blick und wandte sich ab.
    Raphael schloss die Augen und atmete tief durch, als ihn plötzlich eine kräftige Hand von hinten packte und eine zweite sich auf seinen Mund legte. Eine bekannte Stimme drang flüsternd an sein Ohr: »Ich bin es – Amicus.«
    »Ich bin froh, Euch wohlbehalten zu sehen«, sagte Raphael mit zitternder Stimme. »Ist Jeanne in Sicherheit?«
    »Mitnichten«, antwortete Amicus. »Sie ist genauso gefangen wie wir und Pierre.«
    »Was sollen wir jetzt tun?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Amicus. »Mir scheint, wir sind am Ende unseres Weges angekommen.«
    Raphael war erschüttert. Wenn dieser große, starke Mann keinen Ausweg mehr sah, woher sollte er, Raphael, dann noch die Kraft nehmen, sie alle zu retten?
    Imberts Stimme schallte über sie hinweg. »Ich habe lange genug gewartet. Wo sind die Fremden?« Sein Blick strich über die Menge. »Nun?« Keine Reaktion. Er gab einem Ritter ein Zeichen, und dieser zerrte wahllos einen alten Mann an den Haaren herbei und stieß ihn vor Imbert in den Dreck. Zitternd krümmte er sich und bat um Gnade.
    »Sprecht jetzt, oder er stirbt!«, gellte Imberts Stimme.
    Die Leute schwiegen beharrlich. Imbert nickte dem Ritter zu. Der zog seinen Dolch und schnitt dem Alten die Kehle durch. Wieder ging ein Aufschrei des Entsetzens durch die Menge. Plötzlich begann jemand zu kreischen. Es war die Frau, die von Raphael gestoßen worden war. »Hier!«, schrie sie. »Hier sind sie!«
    Raphael und Amicus versuchten zu fliehen. Gleichzeitig erklang eine zweite Stimme in der Dunkelheit.: »Imbert! Hörst du mich, Imbert?«
    Raphael und Amicus hielten inne. Sie hatten die Stimme sogleich erkannt. »Luna!«, sagten sie gleichzeitig. Sie sahen sich um und entdeckten das Mädchen auf einem Hügel am Rand des Waldes, etwa zweihundert Schritte entfernt. Sie saß auf Giacomo und rief immer wieder Imberts Namen.
    Jetzt hatte auch der Mönch sie entdeckt. Er zeigte zu ihr hoch und brüllte seine Männer an: »Worauf wartet ihr? Ergreift die Hexe!«
    Sofort jagten die Männer Luna entgegen. Sie zögerte keinen Augenblick mehr. Sie gab Giacomo einen kleinen Klaps, und der Hengst sauste davon. So lockte Luna die Ritter in das tiefe Unland, das Saint-Gély-du-Fesc umgab.
    Zurück blieben nur Imbert und der Hauptmann. Als die Bewohner bemerkten, dass ihnen von den Rittern keine Gefahr mehr drohte, stürmten sie in alle Richtungen auseinander. Imberts Drohungen gingen in dem Lärm unter.
    Raphael und Amicus nutzten das Durcheinander aus, um Jeanne und Pierre zu suchen. Sie standen noch dort, wo Amicus sie zuletzt gesehen hatte. Als Jeanne Raphael entdeckte, fiel sie ihm um den Hals und presste ihren Kopf an seine Brust. »Da seid Ihr endlich«, schluchzte sie.
    »Wir haben jetzt keine Zeit für Sentimentalitäten«, mahnte Amicus.
    Jeanne löste sich von Raphael. »Ihr habt Recht«, sagte sie. »Machen wir, dass wir fortkommen.«
    Amicus hielt sie zurück. »Wir sollten uns trennen. Die Ritter streifen durch das Unterholz. Allein können wir uns besser verbergen und sicher zu unserem Lager gelangen.«
    Raphael stimmte ihm zu. »Ich gehe Richtung Süden und dann in den Wald hinein.«
    »Gut«, sagte Amicus. »Der Norden ist von Imbert versperrt und im Osten drängen die Ritter Luna hinterher. Also verlasse ich das Dorf im Osten und Ihr, Madame, im Südosten. Pierre, du fliehst nach Südwesten.«
    Pierre und Jeanne nickten. »Viel Glück Euch allen«, sagte Raphael und lief in südliche Richtung.
    Plötzlich hörte er Imberts Stimme hinter sich: »Dort ist einer von ihnen!« Raphael drehte sich nicht um. Er lief so schnell, dass sein Atem rasselte und seine Lunge zu bersten drohte. Er hetzte in eine von Flammen erhellte Gasse hinein. Seine Beine schmerzten, und Stiche wie von glühenden Nadelspitzen quälten seinen Körper.
    Da drängte sich hinter ihm ein Geräusch zwischen all die Schreie und das Knacken von brennendem Holz, das er nur zu gut kannte: Hufgetrampel. Im Laufen wandte er kurz den Kopf und erkannte den Hauptmann, der mit geöffnetem Visier und gezücktem Schwert hinter ihm herpreschte. Keuchend blieb Raphael stehen. Jetzt ist alles aus, dachte er.
Duell im Wald
    A

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