Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
Vom Netzwerk:
leben?«, höhnte er. »Von den alten Lumpen, die um eure Körper hängen?«
    Jetzt ist es an der Zeit, den Schatz herauszuholen, dachte Raphael. Er griff in seine Tasche, zog die Goldmünze hervor und hielt sie dem Anführer unter die Nase. Die Augen des Soldaten bekamen einen glasigen Glanz. »Das sollte genügen«, sagte Raphael. »Für diese Münze erwarten wir drei Mahlzeiten am Tag, ausreichend Wein und Wasser und einen Platz mit viel Heu und Hafer für das Ross.«
    »Du sollst bekommen, was du verlangst«, sagte der Soldat. »Der Gaul kann im Stall stehen. Ich werde persönlich für sein Wohl sorgen.«
    »Ihr schenkt ihm doch wohl keinen Glauben, oder?«, fragte Amicus.
    Raphael lächelte. Er war sich sicher, dass sie auf dem richtigen Weg waren und keinerlei Befürchtungen zu hegen brauchten. Alles, was hier geschah, war ein Teil des großen Plans. »Gewiss glaube ich ihm«, sagte er.
    Amicus atmete tief durch. Dann senkte er den Kopf und trottete zu dem Quartier.
    »Gehen wir«, sagte Raphael zu den Freunden, und sie folgten dem leise vor sich hin fluchenden Amicus.
    Die Männer schlossen die schwere Eisentür auf und führten sie in den Stall, der im Erdgeschoss untergebracht war. Unter Tränen nahm Jeanne Abschied von Giacomo.
    »Heul nicht, Weib«, sagte der Soldat. »Ihr könnt euch hier frei bewegen. Nur verlassen dürft ihr das Quartier nicht.«
    Das beruhigte Jeanne. Sie ergriff Raphaels Hand und erwiderte den Druck.
    Die Soldaten zeigten ihnen ihre Unterkunft im ersten Stockwerk. Die winzigen Kammern verfügten über je zwei gezimmerte Betten. Ansonsten standen sie leer. Der Wind pfiff durch die offenen Fenster. Es war kalt und feucht.
    »Sind noch andere hier?«, fragte Raphael den Soldaten.
    »Nein.«
    »Wen wundert’s?«, zeterte Amicus. »Kein Narr ist so verrückt, sich hier einsperren zu lassen.«
    »Bringt uns neue Decken«, sagte Raphael. Er gab dem Soldaten die Münze. »Und Kerzen.«
    »Es soll euch an nichts fehlen«, entgegnete der Soldat. Er wog das Goldstück in der Hand und biss darauf. Zufrieden steckte er es in sein Wams.
    Die Männer verschwanden. Kaum war die Tür hinter ihnen verschlossen, öffnete Amicus den Mund: »Nun sagt uns, was genau wir hier tun. Ich sehe Euch an, dass Ihr mehr wisst, als Ihr preisgebt.«
    Raphael war bereit, sie einzuweihen. Jetzt, wo das nächste Ziel erreicht war. Er wusste nicht genau zu sagen, warum er bisher geschwiegen hatte. Vielleicht, weil er selbst zweifelte, ob Judas Hinweis einen Funken Wahrheit in sich barg. Vielleicht, weil er verhindern wollte, dass das Ansehen des Medicus’ bei den Freunden Schaden litt, sollte das Zeichen nicht ihren Weg kreuzen. Nun aber gab es keine Ungewissheit mehr. Der Bär, den Juda vor Wochen in seinem Geist gesehen hatte, war in Gestalt des Wappentiers des Marquis de Froissy zur greifbaren Wirklichkeit geworden. Und so berichtete Raphael in wenigen Worten von seinem letzten Gespräch mit dem Medicus.
    Es war spät geworden. Zwei Soldaten kamen und brachten Decken und Kerzen. Wortlos verließen sie das Quartier wieder. Da ausreichend Platz vorhanden war, nahm jeder der Freunde eine eigene Kammer in Beschlag. Zwar hätte Raphael gern einen Raum mit Jeanne geteilt, und er sah an ihrem Blick, dass es ihr nicht anders erging, aber das ziemte sich einfach nicht. Zudem tat es gut, nach langer Zeit mal wieder allein zu nächtigen. Seine Gedanken richteten sich auf den unbekannten Marquis, der offenkundig ihr Schicksal mitbestimmen sollte. Dann schlief er ein.
Der Marquis
    T hibaut de Froissy erwachte mit bohrenden Kopfschmerzen. Er rief lauthals nach seinen Dienern. Sogleich eilte die Dienerschar herbei, wusch und rasierte ihren Herrn, kleidete ihn an und servierte ihm ein üppiges Frühstücksmahl. Das Frühstück entsprach seinen Wünschen. Die Eier waren nicht zu hart und nicht zu weich, der Wein genau richtig mit Wasser verdünnt, und die kalten Hühnerschenkel waren gut gewürzt. Dennoch wollte es dem Marquis nicht recht schmecken. Schon seit er erwacht war, fühlte er eine innere Unruhe. Irgendetwas Ungewöhnliches würde heute passieren. So stand er auf und begutachtete seine Erscheinung nicht ohne Bewunderung im reich verzierten Spiegel. Die Schnabelschuhe in den Farben Grün und Blau saßen perfekt. Die rot und orange gestreiften Beinkleider waren aus edlem Brokat gefertigt und zeigten stramme Waden und Schenkel. Das Untergewand bestand aus purpurfarbener Seide. Als Obergewand trug der Marqius einen güldenen

Weitere Kostenlose Bücher