Hexengericht
Rock, in der Taille eng geschnitten, sodass die schmalen Schultern breiter wirkten. Ein letzter Blick prüfte Frisur und Spitzbart, den ganzen Stolz des Marquis. Fürwahr, der Schopf war in den Jahren schütter geworden, aber der Bart, der wäre eines Kaisers würdig! Zufrieden klatschte er dreimal in die Hände. Zwei Diener erschienen und brachten Mantel und Gürtel. Zuletzt setzten sie ihrem Herrn die Calotte auf den Kopf. Die aus feinster Wolle gewobene Bundhaube diente als Halt für den bunten, mit Pelz und Silberstiften besetzten, breitkrempigen Hut.
»Ist meine Tochter erwacht?«, wollte der Marquis wissen.
»Wir hörten an diesem Morgen noch keinen Ton aus ihrer Kemenate, Monseigneur.«
Erbost stieß Thibaut de Froissy die Diener zur Seite. »Warum weckt ihr sie dann nicht?« Er scheuchte die Dienerschaft fauchend aus seinem Gemach.
Er schritt hinüber zu den großen, mit Motiven aus der Heiligen Schrift bemalten Fenstern. Von hier aus ließ er seinen Blick über die Vorburg und weiter über die gesamte Stadt Limousis streichen. Emsiges Treiben herrschte dort unten, wie in einem widerlichen Ameisenhaufen. Marktweiber krakeelten mit ihren fürchterlichen Stimmen – so laut, dass der Marquis sie mitten in seinem gemarterten Schädel wähnte. Er zählte die Wachen auf der Stadtmauer und den Türmen. Ihre Zahl entsprach seinen Vorgaben. Irgendwo unter ihm im Burghof quiekte ein Schwein, das man zur Schlachtbank führte. Kurz darauf erstarben die Todesschreie.
Es klopfte an der Tür. Constance, die Tochter des Marquis, trat ein. Ihre scharlachroten Haare waren noch nicht frisiert. Das türkisfarbene Gewand hing schief über den Schultern und bildete auf diese Weise eine groteske Harmonie mit ihren großen, nicht minder schiefen Zähnen. Bei Gott! Eine Schönheit war sie wahrlich nicht zu nennen. Ein Kobold mochte von größerer Anmut sein. Das war wohl auch der Grund, warum kein edler Herr kam, um sie zu freien. An der Dotation konnte es kaum liegen. Die Grafschaft war riesig, und die Erträge konnten als königlich bezeichnet werden.
»Du hast nach mir geschickt, Vater«, sagte Constance mit ihrer zischenden, nasalen Stimme.
Jede einzelne Silbe hämmerte mit der Wucht eines Katapults in den Schädel des Marquis. »Du weißt, dass ich es nicht gern sehe, wenn du länger schläfst als ich«, tadelte er.
Constance versuchte einen Knicks. »Verzeih, Vater.«
»Lassen wir das«, sagte er und fasste sich an den Kopf.
»Hast du wieder Schmerzen, Vater?«
»Ja«, sagte Froissy. »Sie scheinen mit jedem Tag schlimmer zu werden.«
»Das tut mir Leid«, sagte Constance matt.
»Es ist nicht deine Schuld«, erwiderte Froissy, obwohl er dies nicht wirklich glaubte.
»Hast du mit dem Medicus gesprochen?«
»Der Quacksalber hat nicht die geringste Ahnung!«
»Das ist sehr schade, Vater.«
Die dümmliche Konversation verärgerte ihn. Es war einfach nicht möglich, mit diesem Mädchen eine anregende Unterhaltung zu führen. Aber heute gab es keine Ausrede. Es galt, wichtige Angelegenheiten zu besprechen. »Lass uns ein wenig durch die Stadt gehen, Constance.«
Unwillkürlich trat seine Tochter einen Schritt zurück. »Dort unten sind so viele Menschen«, sagte sie gedehnt. »Sie trinken, raufen und stehlen. Zudem stinken sie wie Schweine und verbreiten gewiss so manche Krankheit. Ich will nicht in die Stadt.«
Thibaut de Froissy räusperte sich vernehmlich. Sehr vernehmlich. Für Constance war es das Zeichen, ihren Widerstand aufzugeben. So ließ sie die Schultern hängen und folgte ihrem Vater.
Vor Froissys Schlafgemach wartete Gonzalo Carcastilla, ein ehemaliger Söldner aus Navarra und jetzt ergebenster Diener des Marquis und Kastellan der Burg. Sein langes schwarzes Haar war zu einem Zopf geflochten. Die dunklen Augen blitzten unstet umher. Das glatt rasierte Gesicht, Hals und Arme waren von Narben überzogen. An der linken Hand fehlten drei Finger. Er war gekleidet in eng anliegendes schwarzes Tuch. In der breiten Schärpe um seinen Bauch steckten zwei silberne Dolche. Ein maurischer Krummsäbel an seiner Hüfte vervollständigte die Bewaffnung. Als er seinen Herrn und dessen Tochter erblickte, folgte er ihnen wortlos mit fünf Schritten Abstand.
Sie verließen die Burg, stiegen hinunter in die Vorburg und weiter in die Stadt. Bei dem Anblick all der Marketender, Handwerksleute, Soldaten, Frauen, Kinder und Bettler hielt sich Constance angewidert die Nase zu.
Als sie an einem Händlerkontor in der
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