Hexengericht
sich beinahe übergeben.
Nachdem sie die Treppe hinuntergestiegen waren, führte der Henker die Mönche in einen durch zwei Fackeln nur schwach beleuchteten Seitengang. Von den Wänden tropfte Wasser. Der Gestank war kaum noch zu ertragen. Vor einer schmalen eisenbeschlagenen Tür blieb er stehen und grinste.
Henri wandte sich an Raphael. »Lasst mich zuerst allein hineingehen.«
»Wie Ihr wünscht, ehrwürdiger Vater.«
Schnell schloss der Henker die Tür auf, und Henri trat in den dunklen Raum. Er riss dem Henker die Fackel aus der Hand und bedeutete ihm, die Tür wieder zu verschließen. Er war allein mit Anne Langlois.
Anne saß mitten in dem Verlies im Block, ihre Hände und Füße festgeschraubt in den dafür vorgesehenen Löchern, sodass sie weder Arme noch Beine bewegen konnte.
»Da bist du also«, sagte Henri halblaut und hielt die Fackel höher.
Erst jetzt schien Anne den Besucher zu bemerken. »Henri?« Sie lachte auf. »Ich wusste, dass du dahintersteckst. Begrüßt man so eine alte Freundin?«
Ihr Sarkasmus verwirrte Henri. Doch schnell gewann er seine Fassung wieder. »Es wäre besser für dich gewesen, wir hätten uns nie wieder gesehen. Nun bleibt mir keine andere Wahl.«
Wieder lachte Anne. »Keine Wahl? Du hattest immer eine Wahl.«
»Schweig!«, fuhr Henri die Gefangene an. Dann hielt er kurz inne. »Dieses Kind …«
»Luna«, warf Anne ein.
»Wie alt ist sie?«
Anne versuchte zu lächeln. Sie hob den Kopf und schaute Henri in die Augen.
»Nein«, flüsterte der Prior. Er stolperte drei Schritte zurück und stieß gegen die Kerkerwand.
Anne kicherte. »Ich sehe, du erkennst die Wahrheit. Willst du mir nicht endlich sagen, warum du mich hier gefangen hältst?«
Hastig richtete Henri seinen Habit und sagte wie beiläufig: »Du bist der Hexerei beschuldigt.«
Eine Weile starrte Anne Henri an. Dann lachte sie keuchend. »Ich? Eine Hexe?«
»Dir wird das Lachen noch vergehen!«, schrie Henri. »Spätestens in der Folterkammer!«
»Du vergisst dabei eins«, sagte Anne ruhig. »Ich weiß um deine Machenschaften. Ich bin sicher, das Gericht und der Papst wären interessiert an meiner Geschichte.«
Nun lachte Henri. »Und ich bin sicher, dir liegt viel am Leben deiner Tochter. Ein Wort von dir an irgendwen, und dieses Kind leistet dir im Kerker und auf dem Scheiterhaufen Gesellschaft.«
Anne erschrak. »Das wirst du nicht wagen.«
Statt einer Antwort warf Henri ihr einen eiskalten Blick zu.
»Doch, du schon«, sagte Anne und senkte den Kopf.
Als Raphael das erbarmungswürdige Geschöpf im Block sah, wäre er beinahe auf die Knie gefallen. Anne Langlois war nicht wiederzuerkennen. Das einst glänzende Haar war stumpf und verfilzt, die Kleider hingen nur noch als verdreckte Lumpen an ihrem geschundenen, ausgezehrten Körper. Soweit er erkennen konnte, waren ihr durch die Kälte in dem Verlies drei Zehen und ein Daumen zu schwarzen Stümpfen erfroren. Der bestialische Gestank und ihre Kleidung deuteten darauf hin, dass Anne seit Wochen, wenn nicht gar Monaten in ihren eigenen Exkrementen saß. Raphael schloss die Augen, faltete die Hände und betete stumm.
»Beten könnt Ihr später«, raunte Henri. Wortlos ging er zu der schmalen Tür und klopfte dagegen. »Komm herein«, sagte er zu dem Henker, der die Tür öffnete und hereinlugte.
»Hol sie da raus!«, rief Henri, zum Henker gewandt.
Der Henker nestelte mit flinken Fingern den richtigen Schlüssel hervor, schloss den Block auf und packte Anne unter den Armen. Kot und schwarze Blutklumpen fielen aus Annes Kleid auf den Boden. Der Henker hielt sie fest, damit sie nicht vor Schwäche umfiel.
»In die Folterkammer mit ihr!«, befahl der Prior.
»Wollt Ihr sie nicht waschen?«, fragte Raphael. Und auf Henris tadelnden Blick hin beeilte er sich zu sagen: »Nur damit wir uns nicht Läuse oder Gott weiß was einfangen, ehrwürdiger Vater.«
»Nun, gut«, sagte Henri. »Wasch sie, gib ihr ein Hemd und schaff sie in die Folterkammer.«
Ein sanftes Lächeln erschien auf Raphaels Gesicht.
In der Folterkammer wartete ein Aktuar des Gerichts von Rouen auf die Mönche. Henri machte sich nicht die Mühe, Raphael den jungen Mann vorzustellen.
Quälend langsam verging die Zeit. Raphael nutzte diese Augenblicke, um die Kammer zu inspizieren. Das finstere Gewölbe verfügte über ein Fenster knapp unter der Decke, das etwas Licht hereinließ. In der Mitte stand ein langer Tisch mit einigen Vorrichtungen, deren Zweck Raphael nicht kannte.
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