Hexengericht
Holz knisterte in einem Kamin. Einige metallene Gerätschaften, die wie Schürhaken aussahen, lagen im Feuer. Daneben stand ein Stuhl, der auf der Sitzfläche, dem Rückenteil und den Armlehnen gespickt war mit eisernen Nägeln. Rundherum waren Lederriemen angebracht. An den Wänden hingen eiserne Masken und Halsringe, gespickt mit Eisennägeln, Ketten, Zangen, Messer, ein Schwert und weitere grausige Folterinstrumente, auf dass die Gefangenen bis aufs Blut gepeinigt werden konnten.
Just kam der Henker mit Anne herein. Sie war nun gewaschen und steckte in einem dünnen weißen Hemd.
»Bring sie her!«, herrschte Henri den Henker an.
Der Henker schleppte Anne durch die Folterkammer. Vor Henri ließ er sie los. Raphael sprang unverzüglich zu ihr, doch konnte er nicht verhindern, dass sie hart auf dem nackten, kalten Boden aufschlug. Sachte richtete er ihren Oberkörper auf. Anne lächelte ihn schwach an.
»Wir beginnen mit den Hexenproben«, sagte Henri, zum Aktuar gewandt. Der schrieb jedes Wort mit Gänsekiel und Tinte auf ein Pergament. »Zuerst die Tränenprobe.« Er legte Anne eine Hand auf den Kopf und sprach: »Ich beschwöre dich um der bitteren Tränen willen, die von unserm Heiland, dem Herrn Jesus Christus, am Kreuze für unser Heil vergossen worden sind, dass du, im Falle du unschuldig bist, Tränen vergießest, wenn schuldig, nicht!«
Aufmerksam beobachteten Henri, der Henker und der Aktuar die Gefangene. Aus Annes Augen floss keine einzige Träne.
Henri rümpfte die Nase. »Ich sehe keine Tränen.« Fragend schaute er in die Runde. Der Henker lächelte schief, der Aktuar machte seine Notizen.
»Schreiten wir zur Nadelprobe«, sagte Henri. »Henker, suche nach dem stigma diabolicum !«
Augenblicklich stapfte der Klotz hinüber zu Anne und riss ihr mit einem Griff das Hemd vom Leibe. Dann nahm er ein scharf gewetztes Messer zur Hand, legte die andere Pranke auf ihren Kopf und schnitt ihr Haar ab. Anne schrie auf und versuchte, sich zu wehren, doch gegen die harte Hand des Henkers konnte die geschwächte Frau nichts ausrichten. Die letzten Büschel schabte der Klotz mit der Klinge ab.
Raphael stellte sich zwischen Henri und den Henker. »Ehrwürdiger Vater!«, protestierte er. »Ich bitte Euch, diesem unmenschlichen Treiben Einhalt zu gebieten.«
Henri stieß ihn beiseite. »Geht mir aus den Augen!«
Raphael stolperte. Seine Blicke jagten zwischen Anne und Henri hin und her. Das Gefühl der Hilflosigkeit machte ihn wütend und verzweifelt zugleich.
Blut rann Anne über Gesicht und Nacken. Der Henker spreizte ihre Beine. Raphael wandte sich erschrocken ab. Der Henker schien seine Umgebung nicht mehr wahrzunehmen. Lüstern hockte er zwischen Annes Beinen und starrte auf ihre unverhüllte Scham.
Raphael suchte Annes Blick. Er wollte ihr stumm Mut zusprechen, doch sie war vor Tränen und Schmerzen nicht in der Lage, seine Bemühungen zu erkennen. Wut stieg in ihm auf. Wenn er nur etwas für diese arme Frau tun könnte!
»Was sitzt du da und starrst vor dich hin?«, fuhr Henri den Henker an.
Wie ein geschlagener Hund zuckte der Klotz zusammen und begann sogleich, Anne den letzten Rest ihrer Würde vom Körper zu schneiden und zu kratzen. Sie schrie, fluchte und weinte. Da die Tränenprobe abgeschlossen war, nahm Henri nunmehr keine Notiz von den Tränen.
Schließlich legte der Henker das blutverschmierte Messer zur Seite. Auf einem Tisch fand er eine lange Nadel. Die Nadel in der Hand, prüfte er, ob Anne eine Narbe, einen Leberfleck oder ein Muttermal hatte. Auf ihrem Bauch fand er schließlich ein Muttermal. Er stieß die Nadel zweimal tief hinein. Blut floss aus der Wunde.
»Weiter!«, befahl Henri.
Der Henker leckte sich über die Lippen und suchte nach weiteren Malen. Eines fand er auf einem ihrer Schenkel, ein anderes auf dem Rücken. Aus beiden strömte Blut, nachdem er die Nadel tief hineingebohrt hatte.
Grimmig nickte Henri. Mit Blick auf den Schreiber führte er aus: »Die gefundenen Male auf dem Körper der Anne Langlois zeigten nach eingehender Untersuchung, dass sie natürlichen Ursprungs sind.«
Raphael atmete auf.
»Doch«, ergänzte Henri, »ist dies nur ein weiteres Zeichen, dass das Weib mit dem Teufel im Bunde ist, denn der Teufel zeichnet nur diejenigen, deren er noch nicht ganz sicher ist; seine getreuesten Anhänger lässt er bekanntlich ohne Zeichen.«
Unmerklich schüttelte Raphael seinen Kopf. Fieberhaft suchte er nach Gründen, juristischen oder kanonischen, um
Weitere Kostenlose Bücher