Hexengericht
Boden; dessen Schwert nahm er an sich.
Sie öffneten Jeannes Kammer und schlichen gemeinsam die Stufen hinab. Alles blieb ruhig.
Raphael horchte am Portal zum Rittersaal. Auch hier Totenstille. Er stieß es vorsichtig auf. Das Nächste, was er sah, war Lunas Gesicht. Erleichtert fielen sie sich in die Arme.
»Es tut gut, wieder bei Euch zu sein«, flüsterte sie in Raphaels Ohr. »Bei euch allen«, sagte sie zu Jeanne, Amicus und Pierre und drückte auch sie an ihre Brust.
Unvermittelt tauchte Constance hinter ihr auf. Raphael sah Luna fragend an.
»Sie will uns helfen«, sagte das Mädchen. »Unten in der Stadt gibt es einen geheimen Fluchtweg aus der Stadt. Sie führt uns hin.«
Raphael war unsicher. »Warum wollt Ihr uns helfen?«
»Ich mag vielleicht nicht so gescheit sein wie du«, sagte Constance, »aber meine Mutter hat mich gelehrt, Recht von Unrecht zu unterscheiden. Und wenn ich sehe, wie mein Vater mit euch verfährt, steht mein Urteil fest.«
Raphael lächelte. »Ich danke Euch, Mademoiselle.«
Amicus entdeckte ein Messer in Lunas Hand. »Was willst du damit anstellen?«
»Wir brauchen Geld«, sagte Luna. »Der Marquis hat mehr als genug davon.«
»Kluges Mädchen«, grinste Amicus. »Wenn du so weitermachst, verliebe ich mich noch in dich.«
Fragend schauten sie Constance an. »Nehmt so viel Geld, wie ihr tragen könnt«, sagte sie.
»Du weißt, wo das Gold versteckt ist?«, wollte Raphael von Luna wissen.
Sie nickte. »In einer Kammer seiner Gemächer.«
Pierre verstellte Luna den Weg. »Ich komme mit Euch.«
Sie küsste Pierre auf die Wange und schob sich an ihm vorbei. »Danke, lieber Pierre, aber ich muss allein gehen.«
»Wir treffen uns am Söller im Garten«, sagte Raphael zu Luna. »Viel Glück, mein Kind.«
Sie lächelte zum Abschied und verschwand in der Dunkelheit.
»Mademoiselle«, sagte Raphael. »Wir benötigen Leinen, viel Leinen. Könnt Ihr es besorgen?«
»Wozu brauchst du es?«, fragte Constance.
»Ich will ein Seil knüpfen, das vom Söller hinunter in die Vorburg reicht.«
»Warum nimmst du nicht gleich ein Seil?«
»Ihr habt ein Seil, das lang genug ist?«
»Gewiss«, antwortete sie. »Es liegt in einem Lagerhaus.«
»Verlieren wir keine Zeit«, sagte Amicus und lief voran.
Sie schlichen aus dem Herrenhaus. In der Dunkelheit war keinerlei Bewegung auszumachen, so huschten sie an der Mauer entlang um das Herrenhaus herum zum Lagerschuppen.
»Bringt mir das Seil«, bat Raphael die Marquise.
Die verschwand im Schuppen und kehrte gleich darauf zurück. In den Händen hielt sie ein langes Seil. Raphael nahm es ihr ab. »Auf zum Söller«, flüsterte er.
Sie eilten zum Herrenhaus zurück und in den Garten, immer auf der Hut, ob nicht irgendwo ein Schatten auftauchte oder ein Geräusch zu hören war. Am Söller angekommen, machte Raphael das Seil an der Brüstung fest und ließ es hinunter.
»Meint Ihr nicht«, sagte Amicus, »dass es jeder sehen kann?«
»Es soll jeder sehen.« Raphael grinste.
Amicus zuckte mit den Achseln. »Wie Ihr meint.«
»Was geschieht nun?«, fragte Jeanne.
»Wir verstecken uns hinter diesen Felsen dort und warten«, sagte Raphael.
Derweil schlich Luna in den ersten Stock des Herrenhauses. Es herrschte Grabesstille. Leise öffnete sie die Tür zu den Gemächern des Marquis. Dann schlich sie hinein und hielt kurz inne, um sich zu orientieren. Die Kammer mit Gold, Silber und Juwelen müsste in einem Raum sein, der rechts von ihr lag. Zur Linken hörte sie Froissy schnarchen. Sie wandte sich nach rechts und schlich weiter. Neben der nächsten Tür stand ein Kandelaber mit drei brennenden Kerzen. Sie nahm ihn auf, öffnete die Tür, huschte in die Kammer und schloss die Tür hinter sich. Nun stand sie in einem rechteckigen, fensterlosen Raum. Reste alter Rüstungen lagen verstreut herum, sonst war die Kammer leer. Doch Luna wusste, hinter dieser Kammer gab es einen kleinen verschlossenen Raum. Sie hatte einmal Froissy hier überrascht, als er gerade einen Sack voll Münzen aus der Kammer holte. Als er sie bemerkt hatte, verschloss er sogleich die Kammer und versteckte, wie er glaubte, den Schlüssel. Luna hatte nicht sehen können, wo genau er ihn verbarg, aber sie hatte gehört, wie er, verdeckt von seinem Körper, einen Stein in die Mauer geschoben hatte. Jetzt prüfte sie sorgfältig jeden einzelnen Stein – und sie hatte Glück. Mit zwei Fingern zerrte sie einen lockeren Stein heraus und griff in die kleine, schwarze Öffnung.
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