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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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Marquis zu widerstehen vermochte. Ganz gleich, ob sie in Froissys Augen Ketzer waren oder nicht.
    »Gut«, sagte Froissy. »Da auch ich ein gottesfürchtiger Mann bin, will ich dir Glauben schenken. Nun geh hinauf zu deinen Gefährten.«
    »Gebt Ihr mir den Fetzen zurück, Monseigneur?«, fragte Raphael. Er streckte eine Hand aus.
    Froissy steckte das Hautstück in eine Tasche seines Gewandes. »Das behalte ich. Dir könnte es schaden, träfest du auf die falschen Leute. Und jetzt geh endlich!«
    Carcastilla stieß Raphael hinaus. Froissy rief den Kastellan zurück und flüsterte ihm etwas zu.
    Carcastilla nickte, dann ging er zu Raphael und brachte ihn in den obersten Stock des Herrenhauses zurück. Vor den Kammern standen Soldaten Wache.
    »Was hat das zu bedeuten?«, wollte Raphael wissen.
    »Schweig!«, sagte Carcastilla. Er stieß Raphael in die Kammer. Dann verschloss er die Tür.
    »Man lässt uns nicht mehr raus«, sagte Amicus. »Auch Jeanne dürfen wir nicht mehr sehen. Was zur Hölle habt Ihr mit dem Marquis besprochen, Bruder?«
    Mit knappen Worten erzählte Raphael, was vorgefallen war.
    »Wer sind die Katharer?«, fragte Pierre anschließend. »Ich habe den Namen schon gehört, weiß aber nichts über diesen Orden.«
    »Die Katharer waren kein Orden«, erklärte Raphael, »sondern vielmehr eine Gemeinschaft. Hier, im Languedoc, nannte man sie Albigenser. Damals, zu Beginn des letzten Jahrhunderts, gehörte das Languedoc nicht zu Frankreich. Es war eine unabhängige Grafschaft, die von wenigen Adelsgeschlechtern regiert wurde. So waren die Albigenser in der Lage, ihren Glauben zu verbreiten, ohne von der Kirche Strafen befürchten zu müssen.«
    »Waren die Unterschiede zum katholischen Glauben denn derart groß?«, fragte Amicus.
    »In der Tat«, sagte Raphael. »Die Katharer bezogen ihren Glauben aus direkter Erfahrung und Erkenntnis, nicht nur aus der Bibel. Das Alte Testament kam in ihrer Lehre ohnehin nicht vor. Auch glaubten sie an die Gleichrangigkeit von Mann und Frau. Daher gab es nicht nur Prediger und Lehrer unter ihnen, sondern den Männern gleichberechtigte Predigerinnen und Lehrerinnen.«
    »Klingt merkwürdig«, sagte Pierre. »Kaum vorstellbar, dass die Kirche das zuließ.«
    »Da die Bewegung von Spanien bis Bulgarien reichte, blieb ihr vorerst keine Wahl«, sagte Raphael. »Ein weiterer Pfeiler ihres Glaubens war die Lehre vom dualistischen Prinzip. Zwar ist die gesamte christliche Gedankenwelt dualistisch aufgebaut, nämlich als Kampf Gut gegen Böse, doch die Katharer gingen auch hier einen Schritt weiter. Während wir katholischen Christen einen höchsten Gott anerkennen, dem der Teufel untergeordnet ist, hielten die Katharer Gott und den Teufel für ebenbürtig. Der gute Gott war nicht stofflich, sondern ein rein geistiges, makelloses Wesen. Ihm gegenüber stand der böse Gott, der Gott der Macht. Die Schöpfung sahen die Katharer als Ergebnis dieser Macht an. Der böse Gott schuf die Erde, den Mittelpunkt des Universums, und sie nannten ihn Rex mundi – den König der Welt. In ihren Augen war jeder Mensch, jedes Tier und jeder Baum von Grund auf böse.«
    »Wie standen sie zu Christus?«, fragte Pierre.
    »Das war es wohl«, sagte Raphael, »was ihnen zum Verhängnis wurde. Da die Schöpfung das Werk des bösen Gottes war, konnte Jesus nicht Menschengestalt angenommen haben und gleichzeitig Gottes Sohn sein. Für sie war er nur ein Prophet unter vielen. Daher hatte auch die Kreuzigung Jesu keinerlei Bedeutung. Darüber konnte die Kirche natürlich nicht hinwegsehen. Im Jahre des Herrn 1209 fiel dann ein dreißigtausend Mann starkes Kreuzfahrerheer aus Frankreich in das Languedoc ein.«
    »Die Albigenserkriege begannen«, sagte Amicus.
    Raphael nickte. »Die Soldaten des Papstes und der französischen Krone verwüsteten das Land innerhalb von zwanzig langen Jahren. Sie mordeten, brandschatzten und vergewaltigten. Doch erst im Jahre 1243 erlosch auch der letzte Widerstand. Nur in der Bergfestung Montsalvat auf dem Montségur widersetzte sich ein kleines Häuflein. Über zehn Monate dauerte die Belagerung. Man versprach den vierhundert Männern und Frauen, Milde walten zu lassen, sollten sie sich ergeben. Am 1. März 1244 gaben sie ihren Ungehorsam auf. Sie erbaten eine fünfzehntägige Frist. Am Morgen des 16. März trieben die Kreuzritter die Hälfte von ihnen den Berg hinunter und verbrannten sie. Den Rest, Männer der katholischen Festungsbesatzung, kerkerte man entgegen der

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