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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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bestechen wollte. Jesus war dennoch bereit, in die plumpe Falle zu gehen, weil er glaubte, dies wäre seine Bestimmung. Doch Judas und Petrus überzeugten Jesus, dass seine Bestimmung eine andere war: nämlich zu leben und zu predigen. Das Wort des Herrn weiterzutragen. Eine Aufgabe, die keiner der Jünger zu bewältigen vermochte. Nach endlosen Auseinandersetzungen willigte Jesus ein – und Petrus opferte sein Leben für das seines Rabbis.«
    Stille trat ein. Die Gesichter der Freunde waren zu Masken erstarrt. Fassungslos blickten sie zu Boden. Nur Luna hatte die Augen geschlossen und wiegte ihren Oberkörper hin und her.
    Der Erste, der die Worte wiederfand, war Amicus. »Wenn Petrus am Kreuz starb«, sagte er, »wer stand dann nach Jesu Tod … ich meine, nach Petrus’ Tod der Jerusalemer Urgemeinde vor? Wer ging nach Rom und wurde dort erster Papst der Christenheit?«
    Raphael sah Amicus an, ohne zu antworten.
    Da fiel Amicus die Kinnlade herunter, und er keuchte: »Ihr meint doch nicht etwa …«
    »Ich sehe, dass Ihr Euch selbst die Antwort gebt, mein Freund«, sagte Raphael. »Die Bibel und die alten Texte erzählen, dass Petrus viele Jahre nach Jesu Kreuzigung in Jerusalem weilte, die Urgemeinde leitete und missionierte. Auf seiner Flucht vor Herodes Aggripa nach Antiochia und auf all seinen Reisen begleitete ihn seine Frau. Auch auf seiner letzten Reise nach Rom. Doch es war nicht Petrus, der dies erlebte, sondern Jesus Christus, und die Frau, die ihn begleitete, war Maria Magdalena.«
    »Wäre dies bekannt«, sagte Amicus, »würde es die ganze Welt auf den Kopf stellen. Der Papst und all die hohen Männer könnten einpacken.«
    »Wäre es möglich, dass die Rollen eine Fälschung sind?«, fragte Jeanne.
    »Möglich wäre es gewiss«, antwortete Raphael, »doch ich glaube das nicht. Ich selbst habe ähnliche Rollen, die aus dem Heiligen Land geschmuggelt wurden, im Auftrag des Bischofs von Rouen übersetzt. Sie alle stammten aus der Zeit von Christi Wirken und kurz danach. Sowohl Schriftart als auch Papier und tincta aqua sind identisch. Der untrügliche Beweis jedoch ist die Tatsache, dass der Heilige Stuhl diese Rollen im Archivum, und dort nochmals gut versteckt, verwahrte. Fälschungen, und darauf ist beim Heiligen Vater und der Kurie Verlass, gelangen nicht in das Archivum, sondern in den Kamin. Die Rollen sind folglich geprüft und für echt befunden worden.«
    »Warum«, meldete sich Pierre zu Wort, »wäre es für die Kirche verhängnisvoll, käme die Wahrheit ans Licht? Ob Jesus nun gekreuzigt wurde oder nicht, ist doch nicht von Belang. Es geht schließlich um seine Lehren.«
    »Ganz und gar nicht, Pierre«, sagte Raphael. »Die Kreuzigung Jesu, seine Passion und die anschließende Auferstehung stellen die zentralen Elemente des christlichen Glaubens dar. Durch seinen Tod reinigte er alle Menschen von ihren Sünden. Sein Tod bildete den Anfang der Sammlung eines erneuerten Gottesvolkes. So wie Jesus sollen alle Toten auferstehen am Tag des Jüngsten Gerichts. Er selbst erweckt die Toten am Jüngsten Tag und vollendet auf diese Weise die Erlösung der Menschheit.«
    »Aber«, wandte Pierre ein, »Jesus ist gestorben. Nur nicht am Kreuz, sondern irgendwann in Rom.«
    »Das, mein lieber Pierre«, sagte Raphael, und er brachte ein schwaches Lächeln zu Stande, »sag dem Henker, der den Scheiterhaufen unter dir entzündet.«
    »Ist das alles, was Ihr in den Rollen gefunden habt?«, fragte Jeanne. »Oder stand noch mehr darin?«
    »Unser unbekannter Freund«, antwortete Raphael, »erwähnt noch drei weitere Rollen, in denen Jesus ihm eine Botschaft für alle folgenden Generationen übermittelte. Besagte Rollen waren nicht im Archivum verwahrt.«
    »Womöglich waren sie ebenfalls dort versteckt«, sagte Amicus. »Nur an einem anderen Ort.«
    »Ihr mögt Recht haben«, sagte Raphael. »Doch ich glaube, wenn sie sich im Besitz des Heiligen Stuhls befänden, wären sie zusammen mit den übrigen Rollen in der alten Truhe gewesen. Nein, ich hege vielmehr den Verdacht, dass Henri oder seine Gleichgesinnten sie rechtzeitig vor dem Zugriff der Kreuzritter retten und fortschaffen konnten. Die Legende sagt, dass die Katharer in der Nacht vor der Erstürmung ihrer Burg einen Schatz fortschafften. Über die Zeiten hinweg nahm man an, dass es sich hierbei um Juwelen, Gold und Silber handelte. Doch offensichtlich bestand der Schatz aus besagten drei Rollen. Und ich glaube, dass sie die Rollen später, nach dem

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