Hexengericht
verschwieg er.
»Es ist eine lange Zeit bis dahin«, sagte Amicus.
»Es ist ein weiter Weg bis Montségur«, erwiderte Raphael. Er ahnte, dass am Ende die Zeit ihr kostbarstes Gut sein würde. Er stieg auf sein Pferd und gab das Zeichen zum Aufbruch.
Der weite Weg zurück in das Languedoc begann.
Einer wird gehen
D ie Wochen zogen ins Land, und die Freunde ritten durch kleine Dörfer, tiefes Unland und große Städte. Die Pest wütete noch immer. Irgendwann entschieden sie, die Städte zu meiden. Je heftiger die Pest dort ihre Opfer suchte, desto grässlicher war der Irrsinn, der die Leute befiel. Man war nirgends in den Städten davor sicher, plötzlich und grundlos erdolcht zu werden. Die Erkrankten, die noch einigermaßen bei Kräften waren, überfielen in ihrem Wahn arglose Menschen und beschmierten sie mit ihrem Erbrochenem oder gar der übel riechenden Flüssigkeit, die aus ihren Pestbeulen sickerte. Vorräte gab es in den Dörfern und auf den Höfen genug zu erwerben, sodass die Freunde gut zurechtkamen. War es zu kalt, nächtigten sie in kleinen, gemütlichen Gasthäusern. Zumeist jedoch schliefen sie im Wald, eingehüllt in wohlig warme Schaffelle bester Güte. Vom Gold des Marquis ließ es sich wahrlich gut leben.
Als Raphael an diesem Morgen erwachte, begann es just zu schneien. Dicke Flocken fielen durch die kahlen Äste der Bäume herab auf den gefrorenen Waldboden. Sein Magen knurrte, und er fragte Jeanne, die das gemeinsame Lager längst verlassen hatte, wann denn das Frühstücksmahl bereitet würde.
»All unsere Vorräte sind verbraucht«, sagte Jeanne. »Jemand muss in das nächste Dorf gehen und sie wieder auffüllen.«
Sie betonte jemand auf eine Weise, die Raphael eindeutig zeigte, dass es nicht sie selbst war, an den sie dachte. Also ging Raphael zu Amicus und Pierre und bat sie, ihn zu begleiten.
Zum nächsten Dorf war es der Karte nach nicht weit, daher ließen die Männer die Pferde bei den Frauen. Um die Wege zu meiden, zogen sie mitten durch den Wald, an dessen Ende Aubignas lag.
Es war windstill; die Luft im Wald war trotz des ungewöhnlich starken Schneefalls mild. Die Stimmung stieg, und so dauerte es nicht lang, bis die Männer witzelnd und lachend durch den Wald zogen. Opfer ihres Spotts war vornehmlich der Marquis de Froissy.
Amicus posierte, eine Hand an der Hüfte und mit der anderen dramatisch über seinem Kopf wedelnd. »Bester Pierre«, sagte er und imitierte die hohe Stimme Froissys, »mich dünkt, Ihr seid ein wahrhaft dreister Bursche. Eure Äußerungen alles andere als konvenabel. Sie piksen gar wie Messerstiche. Pfui, pfui, pfui! Nun husch hinauf in die kleine Kammer und sinnt über Euer arg frivoles Benehmen nach. So Gott will, erhaltet Ihr zur Nachtspeise einen Apfel, der älter ist als ich höchstselbst.«
Pierre wieherte vor Lachen, und auch Raphael grinste von einem Ohr zum anderen. »An Euch ist ein talentierter Possenreißer verloren gegangen, mein Freund«, sagte er.
Dann endlich kamen sie an die Mauern des Dorfes Aubignas. Ein Dorf war Aubignas kaum zu nennen. Eher eine Stadt mittlerer Größe. Auf den ersten Blick erkannten die Männer, dass Aubignas eine arme Stadt war. Die Menschen, die ihnen vor den Toren begegneten, waren ärmlich gekleidet, die Tiere dürr und ausgemergelt.
Sie gingen durch das Stadttor, aus dem bereits die Steine bröckelten.
Die Freunde machten ihre Runde. Sie gingen zu Bäcker, Schlachter und Butterfrau. Zur Käserei, dem Löffelmacher und dem Gerber. Überall begegnete man ihnen freundlich und zuvorkommend.
Als sie alle Dinge besorgt hatten, die sie benötigten, schlug Amicus vor, eine Schänke aufzusuchen. Raphael war nicht begeistert. Der Schneefall wurde von Stunde zu Stunde stärker, sodass man kaum den Weg vor Augen sah. Er fühlte sich irgendwie nicht wohl an diesem Ort, er hatte das Gefühl, als würden sie beobachtet, und drängte, wieder aufzubrechen.
»Nur einen Krug Bier, Bruder«, bettelte Amicus. »Einen winzigen Krug.«
»Ein Ort zum Aufwärmen vor dem Rückmarsch wäre auch mir recht«, sagte Pierre.
Raphael überlegte hin und her. Schließlich verwarf er seine Bedenken. Die Zeit für einen Krug Bier war allemal, und ein warmer Platz nicht das Schlechteste. So stimmte er zu.
Auf der Suche nach einer Schänke kamen sie an einer Schmiede vorbei. Durch die zur Straße offene Seite der Schmiedehalle sah Raphael, wie der Schmied ein langes Eisen aus dem Feuer zog und auf dem Amboss mit einem schweren Hammer
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