Hexengericht
Ich kenne ihn aus seiner Zeit als Erzbischof von Rouen. Er ist kein Mann, der sich von Ketzern erpressen lässt. Wenn er erfährt, dass ihr im Besitz der drei Rollen seid, lässt er euch suchen, fangen und verbrennen. So viel ist gewiss.«
Cumanus wich zurück. Er ballte die Hände zu Fäusten. Raphael glaubte, der Dominikaner wollte ihn erschlagen. Dann gewann Cumanus seine Fassung wieder. »Wir haben euch gefunden, wir finden auch die Weiber. Bis nach Avignon schaffen sie es niemals.«
Raphael lachte. »Luna, Henris Tochter, ist mit der Gabe des Hellsehens gesegnet. Du kannst sie nie und nimmer gefangen nehmen.«
Nun war es Cumanus, der lachte. Er lachte und lachte und klopfte sich auf die Schenkel. Dann wurde er von einem Moment zum anderen schlagartig ernst. »Dann sage mir, warum sie euch hierher kommen ließ? Sie hätte doch wissen müssen, dass unsere Wege sich kreuzen. Warum also lässt sie euch hier sterben? Offenbar ist es mit ihrer Hellsichtigkeit nicht weit her.«
»Wir werden sterben«, sagte Raphael. »Doch nicht hier und nicht an diesem Tag.«
»Eine recht dumme Behauptung, wenn du mir diesen Ausdruck erlaubst«, höhnte Cumanus.
Raphael lächelte kalt. Beinahe so kalt wie Cumanus. »Dreh dich um, du mieser Lump.«
In Cumanus’ Rücken und hinter seiner Horde hatten sich unzählige Männer versammelt. Sie waren mit Äxten, Hämmern, Heugabeln, Sicheln und Messern bewaffnet. Ihre Kleidung war zerschlissen, doch der Ausdruck auf ihren Gesichtern war entschlossen. Sie stapften durch den Schnee auf Cumanus zu.
Etwa zehn Schritte vor ihm bedeutete ihnen ihr Anführer, ein kräftiger Mann von vielleicht vierzig Jahren, Halt zu machen. Er selbst löste sich aus der Gruppe und trat vor Cumanus. In der Hand wiegte er einen schweren Hammer, als er fragte: »Was in Gottes Namen treibt Ihr hier?«
Cumanus verzog angewidert den Mund. »Wer bist du, dass du mir freche Fragen stellst? Verschwindet und geht in eure Häuser zurück, wenn euch euer armseliges Leben lieb ist. Auf der Stelle!«
Der Mann rührte sich nicht vom Fleck, sondern erwiderte unbeeindruckt den Blick des Dominikaners. »Mein Name ist Claude Larroque«, sagte er. »Ich bin der Bürgermeister von Aubignas.«
»Dann nimm deine Männer, Bürgermeister, und geht da hin, von wo ihr gekommen seid«, rief Cumanus aus. »Siehst du denn nicht, mit wem du es hier zu tun hast?«
»Meine Augen sind gesund, mein Verstand klar«, entgegnete Larroque. »Drum frage ich Euch ein weiteres Mal: Was treibt Ihr hier?«
Cumanus schnappte nach Luft. »Was … was fällt dir ein? Ich vollziehe im Namen der heiligen Inquisition ein Gottesurteil. Das sollte dir als Erklärung genügen. Noch eine dumme Frage, und du selbst leistest den Ketzern Gesellschaft. Jetzt geh!«
Noch immer zeigte Larroque keinerlei Zeichen von Nachgiebigkeit. »Hier zu richten«, sagte er, »ist nur auf Geheiß des Comte de Saint-Montant gestattet. Habt Ihr ein vom Comte unterzeichnetes Urteil vorzuweisen?«
»Hast du nicht gehört, dass ich im Auftrag der heiligen Inquisition handle?«, fragte Cumanus zurück. »Was schert mich da dein dreimal verfluchter Comte?«
»Unser Herr allein«, sagte Larroque und hielt Cumanus den Hammer hin, »entscheidet, wer in der Grafschaft gehängt wird. Willst du diese Männer richten, musst du sie vor einem ordentlichen Gericht unter Vorsitz des Comte anklagen.«
»Wie lange wird das dauern?«, wollte Cumanus wissen.
»Etwa eine Woche.«
Cumanus dachte lange nach. Dann sagte er: »Gut, ich will zum Comte gehen und meinen Fall vortragen. Kerkere die Männer bis zur Inquisitio ein.«
Larroque schüttelte den Kopf. »Das ist nicht möglich.«
Cumanus riss die Augen auf. »Was sagst du da?«
»Sie sind noch nicht angeklagt. Bis dahin bleiben sie freie Männer und können gehen, wohin sie wollen.«
Fast schien es, als wollte Cumanus den dreisten Kerl erwürgen. Er hob die Hände und ging zwei Schritte auf seinen Widersacher zu. »Du kleiner dreckiger …«
Larroque holte mit dem Hammer aus. Gleichzeitig kamen seine Gefährten näher. Die zahlenmäßig deutlich unterlegenen Soldaten des Marquis zückten ihre Schwerter und Lanzen.
»Rufe deine Männer zurück oder keiner von euch verlässt diesen Platz lebend«, verlangte Larroque.
Cumanus blickte über die Reihen Dorfbewohner. Schaute in die entschlossenen Gesichter. »Steckt eure Waffen weg!«, rief er seinen Soldaten zu. Er stellte sich vor seine Gefangenen. »Macht sie los«, befahl er zwei
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