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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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schreiend durcheinander, und aus der Stadt kam ein nicht enden wollender Strom von fliehenden Menschen, die Sack und Pack auf Ochsenkarren verladen hatten oder mit den eigenen Händen davonschleppten.
    Derweil verschwand die Sonne Stück um Stück. Es wurde dunkel. Dann war sie verschwunden. Nur ein gleißender Kreis war noch zu sehen. Die Menschen knieten nieder und bekreuzigten sich. Stille trat ein. Auch die Vögel sangen nicht mehr. Das seltsame Mädchen, das sich Luna genannt hatte, hatte Recht behalten. Ihre Prophezeiung war eingetreten. D’Aubrac wusste, was nun zu tun war. Auch nach einem Jahr hatte er keines ihrer Worte vergessen.
    Kurz darauf kehrte die Sonne langsam zurück. Es wurde heller herum. D’Aubrac sammelte seine Männer und befahl ihnen, das Lager abzubrechen.
    Als die Sonne wieder vollständig am Himmel stand, strömten die Fliehenden zurück nach Carcassonne. D’Aubrac stieg auf sein Pferd.
    »Wohin reiten wir?«, wollte Roger wissen.
    »Gen Süden«, erklärte d’Aubrac und hob die Hand.
    »Was machen wir im Süden?«
    »Von dort reiten wir nach Westen.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Roger, »ob ich dich recht verstehe. Hast du zu viel Dünnbier getrunken?«
    »Wir helfen einer Freundin und begleichen eine alte Schuld«, sagte d’Aubrac und ließ die Hand sinken. Der Tross aus einem Dutzend schwer bewaffneter und kampferfahrener Männer brach auf.
    Sie ritten drei Tage und drei Nächte durch das karge Land. Sie schliefen nicht viel, und wenn, dann meist nur, um den Pferden Ruhe zu gönnen.
    Am Morgen des vierten Tages kamen sie in eine Gegend, in der endlose Felder vor ihnen lagen. Nachdem sie eine Weile durch das wenig abwechslungsreiche Gebiet geritten waren, machte d’Aubrac Halt. Er sah sich um. Keine Menschenseele weit und breit. Rechter Hand dunkles Unland, links die weiten Felder.
    »Wonach suchst du?«, fragte Roger.
    »Wo ist er nur?«, murmelte d’Aubrac.
    »Wen oder was suchst du, Maurice?«, wiederholte Roger.
    »Nach einem Mann«, antwortete d’Aubrac, ohne den Blick von den Feldern abzuwenden.
    »Aha«, sagte Roger. »Ein Mann. Und wie soll dieser Mann aussehen?«
    »Weiß ich nicht«, antwortete d’Aubrac. »Er winkt.«
    »Er winkt?«
    »Verdammt, ja, er winkt!«, brummte d’Aubrac.
    Roger wandte sich zu den Männern um. »Wir suchen einen winkenden Mann! Habt ihr einen gesehen?«
    Gelächter.
    »Weiter«, knurrte d’Aubrac, und sein Pferd schritt langsam voran.
    »Hauptmann!«, rief plötzlich einer der Soldaten.
    »Was ist?«, rief d’Aubrac zurück.
    Der Soldat streckte einen Arm aus. »Sieh doch! Ist das der Mann, den du suchst?«
    D’Aubrac folgte der Richtung, die der Arm anzeigte. Weit hinten auf einem der Felder stand eine einsame Vogelscheuche. Einer ihrer Arme flatterte im Wind hin und her. Der winkende Mann! »Zum Teufel«, flüsterte d’Aubrac. »Weiter«, sagte er, dann lauter: »Weiter, Männer!«
    Keine hundert Schritte später bog ein breiter Pfad in das Unland gen Westen ein. »Hier entlang!«, rief d’Aubrac. Er ahnte, dass er am Ende dieses Pfades auf Luna treffen würde. Und er ahnte, dass es lebenswichtig war, vor Einbruch der Dunkelheit dort zu sein.
Am Montségur
    R aphael, Luna, Jeanne und Pierre lagen auf einer dicht bewaldeten Anhöhe bei Montségur. Bereits vor Morgengrauen waren sie von ihrem Lager aufgebrochen und hatten hier Stellung bezogen. Worauf sie warteten, vermochten sie selbst nicht genau zu sagen. Der Blick von diesem Ort auf Montségur war ausgezeichnet. Der Berg ragte über ihnen auf, die verlassene Burg stand auf der Spitze. Dennoch waren die weiß glänzenden Mauern gut auszumachen. Unter ihnen verlief ein steiniger Pfad, der aus dem Wald direkt zu einem unbefestigten Weg am Berg entlang auf die Burg führte. Wollte irgendjemand die Burg betreten, die Freunde würden es erfahren.
    »Wie lange gedenkt Ihr, hier auszuharren, Bruder Raphael?«, fragte Pierre und streckte seine Glieder.
    Raphaels Blick blieb auf den Pfad gerichtet, als er antwortete: »Frag Luna.«
    »Mademoiselle?«, fragte Pierre.
    »Ich weiß nicht, was geschehen wird, lieber Pierre«, sagte Luna.
    »Fein«, grummelte Pierre. »Ich habe einen Bärenhunger.«
    Jeanne lachte. »Ich habe dir geraten, einige Äpfel mitzunehmen«, sagte sie. »Wenn du es nicht erträgst, geh zurück ins Lager.«
    Empört schaute Pierre sie an. »Und mir den ganzen Spaß entgehen lassen? Warum bin ich dann mitgekommen?«
    »Still!«, rief Raphael plötzlich. »Am Waldrand bewegt

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