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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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aus dem Wald führte. Der Reiter kam näher. Sehr schnell. Die Hufe rasten über den Boden. Und dann erschien er: Henri. Auf einem Rappen jagte er zum Berg, dann auf den Weg zur Burg hinauf, bis die Mauern Montsalvats ihn verschluckten. Ihre Zeit war gekommen.
    Luna stand auf, aber Raphael zog sie wieder zu sich herunter. »Wir warten noch«, sagte er.
    Es mochte eine Stunde her sein, seit Henri die Burg betreten hatte. Seitdem gab es keinerlei Anzeichen, dass sich irgendetwas verändert hatte. Raphael hielt es nun für sicher, in das Herz der Katharer vorzustoßen. »Gehen wir«, sagte er und erhob sich.
    Jeanne ging auf Raphael zu und schloss ihn fest in die Arme. »Gebt auf Euch Acht«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Und auf das Kind. Hört Ihr?«
    Raphael erwiderte die zärtliche Umarmung und nickte. Er schob sie ein Stück von sich und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Zuversichtlich lächelte er sie an. Anschließend gab er Pierre beide Hände und wartete, bis auch Luna von den Freunden Abschied genommen hatte. »Ganz gleich, was geschieht«, sagte er zu Jeanne und Pierre, »folgt uns nicht. Geraten wir in Gefangenschaft, dann flieht von hier und versucht, euch beim Papst Gehör zu verschaffen. Sollte euch das nicht gelingen …« Er brach ab.
    »Nein, Ihr werdet selbst mit dem Heiligen Vater reden, Bruder«, sagte Pierre. »Ich zumindest betrete den Palast nie wieder.«
    Raphael lächelte, warf Jeanne einen letzten warmen Blick zu und bedeutete Luna, sich auf den Weg zu machen.
    »Viel Glück euch beiden!«, rief Jeanne ihnen nach.
    Der Abstieg war mühelos. Der dicht bewachsene Waldboden bot guten Halt, auch für ihre Sandalen. Als sie unten ankamen, zog Raphael sich die Kapuze über den Kopf und bedeutete Luna, es ihm nachzumachen.
    Von hier aus nahmen sie den gleichen Weg wie die Mönche und Henri. Zerklüftete, finstere Felsspalten überall; wie gespenstische Höhlen, in denen verborgene Augen sie unentwegt zu beobachten schienen. Lose Felsbrocken und Geröll drohten jeden Augenblick auf sie niederzustürzen.
    Der Weg zur Burg hinauf war weitaus beschwerlicher, als der Abstieg gewesen war. Immer wieder rutschten sie aus; ihre Füße schmerzten. Ein Rabe verfolgte in kreisförmigem Fluge jeden ihrer Schritte und krächzte unwillig. Der Stoff klebte an Raphaels schwitzendem Körper, und er verspürte einen ungeheuren Durst.
    Keuchend und stöhnend erreichten sie schließlich den Gipfel. Vor ihnen ragte die Festung auf. Der Weg führte geradewegs zum Torbogen. Raphael wollte schon hindurchschreiten, als Luna ihn festhielt. Sie zeigte auf den Bogen. »Was steht dort eingemeißelt?«, fragte sie. »Ich kenne die Sprache nicht.«
    »Aramäisch«, flüsterte Raphael.
    »Was sagen die Zeichen?«
    »Die Klarheit des Geistes führt über die Reinheit des Körpers.«
    »Was bedeutet das?«, fragte Luna.
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung, mein Kind«, sagte Raphael. »Gehen wir weiter.«
    Ein Tor, das ihnen den Weg versperren könnte, gab es nicht. Montsalvat war verfallen, die Mauern aus weißem Kalkstein brüchig und rissig. Raphael erinnerte sich, dass die ursprüngliche Katharer-Burg nach der Festnahme der Belagerten abgerissen und neu errichtet worden war. Von wem und aus welchem Grund vermochte er nicht zu sagen. Offenbar hatte diese Burg nie eine Besatzung erlebt. Ein kostspieliger Abriss samt Neubau erschien ihm daher wenig sinnvoll. Montségur blieb durch die Jahrhunderte hindurch ein geheimnisvoller Ort.
    Sie betraten eine kleine Halle, die vormals eine Kapelle gewesen sein mochte. Nun stand sie leer. Es war dunkel, bis auf einen schwachen Lichtschein am anderen Ende. Raphael ging voraus, während Luna dicht hinter ihm blieb. Jeden Augenblick erwartete er, dass irgendetwas geschah. Dass ihnen jemand auflauerte, sie ansprang oder ihnen den Weg versperrte. Doch nichts geschah. Sie schritten durch eine halb geöffnete Tür. Dahinter lag ein Hof mit einem quadratischen Gebäude in der Mitte, das zwei Stockwerke hatte, allerdings kein einziges Fenster. Sie gingen um das Gebäude herum, fanden jedoch nichts Ungewöhnliches. Nichts, das ihnen das Verschwinden von zweihundert Mönchen erklären könnte. Nur Henris Rappe stand hier und fraß das Gras aus den Mauerspalten.
    Die Festung war klein im Vergleich zu anderen Burgen. Außer der finsteren Kapelle und diesem Gebäude, das keine dreißig Schritte in Länge und Breite maß, gab es gar nichts. Sie stiegen die Stufen zum Wehrgang hinauf, fanden aber auch dort

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