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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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verabschiedete ihn mit donnerndem Beifall.
    Lächelnd zog sich Miraculus zurück und verschwand hinter einem der Planwagen. Sein Lächeln erlosch, und er ließ die Schultern hängen. Er zog einen zerschlissenen Wollmantel über und nahm an dem flackernden Feuer Platz.
    »Müde?«, fragte Agnès, die Frau des alten Bertrand.
    »Die Kälte macht mir zu schaffen«, log Miraculus, dessen richtiger Name Pierre Lavalle lautete. Er war es leid, tagtäglich sein Publikum zu unterhalten. Er war es leid, kein Heim zu haben, sondern ständig herumzureisen. Er war es leid, nicht sein eigener Herr zu sein. Doch vor allem war er es leid, sein hart erarbeitetes Geld an Magnus abzugeben. Denn nicht der alte Bertrand, sondern Magnus war der Herr der Truppe. Vorsichtig spähte Pierre hinter dem Wagen hervor und sah, dass Magnus gerade mit hochrotem Kopf, die Muskeln zum Bersten gespannt, die präparierten Ketten um seinen Körper sprengte. »Pah! Humbug!«, fluchte Pierre.
    »Magnus?«, fragte Agnès.
    Pierre nickte schwach.
    Agnès schaute den Flammen bei ihrem Spiel zu. Sie zog den alten Umhang fester um ihre Schultern. Ihre langen grauen Haare waren zu einem Zopf geflochten, der sie um Jahre jünger erscheinen ließ.
    »Als wir noch einen Bären hatten, war alles besser«, sagte Agnès.
    Wenn sie nicht wusste, was sie sagen sollte, fing sie immer mit dem Bären an. »Wie lange wollen wir das noch mitmachen, Agnès?«, fragte Pierre.
    »Du weißt, was damals mit Maurice geschehen ist«, antwortete Agnès leise.
    Natürlich erinnerte er sich. Wie hätte er das vergessen können? Maurice hatte gegen Magnus aufbegehrt und wurde eines Tages mit gebrochenem Genick aufgefunden. Niemand wagte es damals, Magnus offen zu bezichtigen, aber es war allen gewiss, dass er schuld an dem Mord gewesen war. »Warum unternimmt Amicus nichts?«, fragte Pierre weiter. »Er ist Magnus gewachsen. Bestimmt ist er das!«
    Agnès hob den Kopf und sah Pierre in die Augen. »Das haben wir doch schon so oft besprochen, Pierre. Solange Magnus Amicus in Frieden lässt und ihm genug Geld gibt, hält Amicus still. Ohne Amicus würde es uns allen ohnehin schlechter gehen. Das weißt du.«
    Murrend biss Pierre in einen Apfel. Gab es denn keinen Ausweg? Am liebsten wäre er fortgegangen. Wäre des Nachts fortgeschlichen von der feigen Truppe und hätte irgendwo in Frankreich ein neues Leben begonnen. Wie oft hatte er sich vorgenommen zu fliehen? Wie oft nachts wach gelegen und Pläne geschmiedet? Doch wenn die Sonne aufging und die Menschen zu den Märkten strömten, hatte er immer wieder aufs Neue seinen blauen Mantel mit den Mond- und Sternornamenten übergestreift, den langen spitzen Hut aufgesetzt und den Leuten eine ordentliche Darbietung seiner Künste geboten. »Verdammt!«, zischte er.
    Am Beifall erkannte Pierre, dass Magnus’ Vorstellung zu Ende war. Ihm applaudierten die Zuschauer stets am längsten. Muskeln, gesprengte Ketten und geschluckte Schwerter waren bei den Leuten beliebter als sprechende Puppen, fliegende Bälle und Zaubertricks. Nun würde Amicus mit seinen Messern Kunststücke vollführen, Jacques und Jacques vor das Rad stellen und sie wie immer um Haaresbreite verfehlen. Schließlich würde der alte Bertrand mit seiner schäbigen Mütze die wenigen Sous einsammeln und sie Magnus übergeben. So war es immer, und so würde es bis ans Ende aller Tage weitergehen.
    Und da kam auch schon der alte Bertrand um die Ecke, die Mütze noch in der Hand. Magnus schlich hinterdrein, packte die Mütze und stierte hinein. »Kein guter Tag«, schimpfte Magnus.
    »Die Zeiten sind schlecht, der Winter ist hart«, sagte der alte Bertrand unbekümmert.
    Magnus gab jedem von ihnen einen Sou, Amicus erhielt drei der Münzen. Pierre schüttelte verärgert den Kopf.
    »Wolltest du etwas sagen?«, fuhr Magnus den jungen Zauberkünstler an.
    »Nein!«, fauchte Pierre und steckte seine Münze ein.
    »Das will ich dir auch geraten haben, Junge!« Ohne seinen Blick von Pierre abzuwenden, ließ Magnus seinen Anteil in einen gut gefüllten Geldbeutel klimpern.
    Da überkam Pierre plötzlich die Kraft aufzuspringen und wütend gegen ein Rad des Wagens zu treten. Wie aus weiter Ferne hörte er sich sagen: »Ich will den Anteil an den Einnahmen, der mir zusteht. Wir alle wollen unseren gerechten Anteil.«
    Magnus’ Gesicht lief puterrot an. Es sah aus, als würde sein Schädel gleich platzen. »Was sagst du da?«
    »Du hast schon richtig gehört!«, gab Pierre scharf

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