Hexengericht
ich schlage dir noch heute Nacht den Kopf von deinem Hals.«
Luna schwieg.
»Und jetzt sei ruhig, oder es setzt Hiebe. Und du bleibst erst einmal hier, Bürschchen.« François stieß Pierre in das Verlies. Rückwärts ging er hinaus und verschloss die Tür.
In dem Verlies war es nun stockdunkel. Pierre atmete schwer. »Meine Name ist Pierre Lavalle«, stieß er hervor. »Ich bin gekommen, Euch zu retten!«
Helles Lachen war die Antwort. Aber es war kein hämisches Auslachen. Es klang eher, als würde eine Mutter sich über die ersten unbeholfenen Gehversuche ihres Kindes freuen. »Und jetzt steckst du selbst hier fest, Pierre Lavalle.«
»Ja«, gab Pierre zu. »Ich habe versagt. Hier ist kein Herauskommen.«
»Doch«, sagte Luna. »Du hast die Schlüssel.«
Pierre schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. Die Schlüssel! Wie hatte er sie vergessen können? Aber … »Woher wisst Ihr, dass ich die Schlüssel habe?«
»Das ist nicht wichtig. Rasch, beeile dich. Es bleibt nicht viel Zeit.«
Pierres zitternde Hände schlossen die Tür auf. Jetzt schnellen Schrittes den Gang entlang und die Treppe hinauf. Unauffällig spähten sie in die obere Kammer hinein, in der François am Tisch saß und grübelte. Was nun, überlegte Pierre. Auch zu zweit sind wir dem Riesen nicht gewachsen.
Der Zufall wollte es, dass in diesem Moment Luc in der kleinen Kammer erwachte und laut aufstöhnte. François schlich zu der Tür und legte prüfend ein Ohr daran. Schließlich schloss er auf. Beim Anblick des blutüberströmten Knechtes schrie er auf. Er ging vor Luc in die Hocke und wollte ihm auf die Beine helfen, da hörte er hinter sich ein Geräusch. Es gelang ihm noch, einen Arm abwehrend in die Höhe zu recken. Doch Pierre traf François mit dem Schürhaken auf den Kopf. Der Knecht ächzte leicht und schlug neben Luc der Länge nach hin. Luc, der gerade noch ein heiseres »Nein!«, ausstoßen konnte, bekam den Schürhaken ein weiteres Mal zu spüren. Außer Atem schloss Pierre die Tür ab. Stolz lächelte er Luna an.
»Fort!«, zischte Luna. »Wir müssen hier fort!«
Pierre spähte durch das Hauptportal des Turms. Niemand war auf dem großen Platz vor der Burg zu sehen. Er nahm Luna an der Hand, und sie liefen, bis sie den Schutz der schmalen, verwinkelten Gassen Rouens erreichten.
»Wohin jetzt?«, keuchte Luna.
Erschrocken hielt Pierre inne. Darüber hatte er sich noch keine Gedanken gemacht. Er musste ziemlich ratlos aussehen, denn Luna lachte. »Du weißt es nicht, oder?«
Pierre hüstelte. »Ich wollte Euch vor allen Dingen aus der Gewalt dieser Mörder befreien.«
Zärtlich berührte sie Pierres Gesicht und küsste ihn sanft auf eine Wange. »Das ist dir vorzüglich gelungen, lieber Pierre. Aber die Flucht hat erst begonnen. Wir müssen Rouen verlassen oder wir sitzen noch vor Tagesanbruch erneut im Hexenturm.«
Der Kuss ließ Pierres Gesicht rot anlaufen. Allein die Dunkelheit schützte ihn vor der peinlichen Entdeckung. »Nach Norden?«, fragte er. »Nein, eher nach Süden. Hm, oder besser Westen?«
»Wir brauchen Geld«, warf Luna ein. »Hast du welches?«
»Vielleicht noch fünf Sous.«
»Das ist nicht viel.«
Das sah Pierre ein. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Stehlen? Stehlen! »Magnus!«, rief er aus.
»Magnus?«, fragte Luna.
»Ich weiß, wie wir an Geld kommen«, antwortete Pierre. »Folgt mir!«
So schnell, dass sie den Schnee unter ihren Füßen aufpeitschten, liefen sie zum Marktplatz. Ruhig lagen die Planwagen der Spielleute da. Sie pirschten sich langsam heran, bis sie neben dem vordersten Wagen standen, dem Wagen von Bertrand und Agnès.
»Ihr braucht Schuhe«, bemerkte Pierre. Er ging um den Wagen herum und spähte unter die Plane in das Innere. Das Glück war ihm hold. Agnès’ Schuhe standen sauber geputzt da. Er ergriff sie und nahm auch Agnès’ neuen Mantel mit. Dann übergab er Luna die Kleidungsstücke. Nun auf zu Magnus.
Der Schwertschlucker schlief tief grunzend in seinem Wagen unter einem Bärenfell.
Ganz dicht stand Luna hinter Pierre, als der vorsichtig und mit schwitzenden Händen nach Magnus’ Geldbeutel an dessen Gürtel griff. Seine Finger berührten schon die ersehnte Beute, da wälzte sich Magnus schnaubend auf die andere Seite. Pierre zog seine Hand zurück und schaute Luna fragend an. Was nun? Er hatte eine Idee. Er riss sich ein Büschel Haare aus und lehnte sich in das Wageninnere, um Magnus damit an der Nase zu kitzeln. Er hoffte, dass dieser nach
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