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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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Und er musste erfahren, dass der Prior unchristliches Hexenwerk betrieb.
    Raphael holte tief Atem. Dann lief er so vorsichtig wie möglich zu den Ställen. Dort wartete er im Dunkel. Kurz darauf verließen die Soldaten das Abthaus und stiegen vor dem Kloster auf ihre Pferde. Raphael wartete noch eine Weile, bis er sicher war, dass Henri sich zur Ruhe begeben hatte. Flugs sattelte er einen Rappen, den er zu den Toren des Klosters und weiter hinein in den Wald führte. Erst in sicherem Abstand zu St. Albert wagte er es, aufzusteigen. Schnell und immer schneller ritt er davon. Fort von Henri le Brasse und der Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen.

    Pierre wurde aus dem Wagen auf das schneebedeckte Pflaster des Marktplatzes geschleudert. Noch ehe er aufzustehen vermochte, erschien Magnus über ihm und schlug ihm die Faust ins Gesicht »Wolltest wohl mein Geld stehlen, was?«
    »Nein, nein …«, stotterte Pierre, die Hände schützend vor seinen Kopf haltend. Da traf ihn schon der nächste Hieb.
    Warmes Blut lief von Pierres Auge über seine geschwollenen Wangen, bis er den metallischen Geschmack auf seinen Lippen spürte.
    »Jetzt rechnen wir ab, Bastard!« Magnus hielt ein kurzes Messer in der Hand. Er kniete vor Pierre nieder und hielt ihm die Klingenspitze keine Handbreit vor die Augen. »Mit welchem soll ich anfangen?«, fragte er grinsend.
    Ein schwarzer Schemen erschien in Magnus’ Rücken. Pierre sah ein verkohltes Holzscheit niedersausen – direkt auf den hässlichen Schädel des Schwertschluckers. Magnus erstarrte in der Bewegung und sank zu Boden. Eine Hand streckte sich zu Pierre und zog ihn hoch. Durch seine verquollenen Augen blickte er in das Gesicht von Amicus. »Du hast mir schon wieder das Leben gerettet«, sagte Pierre schwer atmend.
    Amicus lächelte. »Lass es nicht zur Gewohnheit werden, junger Freund.« Er schaute hinüber zu Luna, die hinter dem Wagen Schutz gesucht hatte. »Wer ist das?«
    »Luna«, antwortete Pierre. Stolz fügte er hinzu: »Ich habe sie aus dem Hexenturm gerettet.«
    Das Lächeln auf Amicus’ Lippen erstarb. »Du hast was getan? Du musst verrückt geworden sein. Völlig wahnsinnig.«
    Pierre wusste nicht recht, was er darauf sagen sollte. Er hatte eher Lob oder gar Bewunderung erwartet.
    »Bist du dir im Klaren, dass es hier bald von Soldaten nur so wimmeln wird? Dass wir alle gefoltert und hingerichtet werden?«
    »Ja«, gab Pierre zu. »Deshalb müssen wir fort von hier.«
    »Fort?«, fragte Amicus. »Aber wohin denn, zum Teufel?«
    »Zum Teufel nicht«, sagte Luna, die näher gekommen war, »sondern nach Süden.«
    Die beiden Männer starrten sie verdutzt an.
    »Vertraut mir«, erklärte Luna. Sie schlang die Arme eng um ihren Körper und stapfte durch den Schnee Richtung Südtor.
    Amicus schnitt den Geldbeutel vom Gürtel des Schwertschluckers. Er klopfte Pierre auf die Schulter und deutete mit dem Kinn zu Luna.
    Der Morgen graute noch nicht, als Pierre, Luna und Amicus Rouen verließen.
Ein frommer Christ
    Z ur Mittagszeit merkte Raphael, welch verhängnisvollen Fehler er begangen hatte, als er das Kloster fluchtartig verließ. Er hatte weder Proviant noch Geld. Wie sollte er so bis nach Avignon kommen? Eine Reise von vielen Wochen stand ihm bevor … und das ohne einen einzigen schäbigen Sou. Zwar konnte er als Bettelmönch auf die Mildtätigkeit seiner Mitmenschen hoffen, doch wollte er so wenig Aufsehen wie möglich erregen. Hätte er je gelernt zu fluchen, er würde jetzt einen kräftigen Fluch ausstoßen. Sein Magen knurrte wie ein wütender Bär, und seine Kehle war ausgedörrt wie der Wildbach nahe St. Albert im Sommer.
    Die nächste Stadt war Les Andelys. Er beschloss, dort Halt zu machen, um etwas Brot und Käse zu bekommen. Auch wollte er dort die Seine überqueren. Les Andelys war eine große Stadt – fast so groß wie Rouen, und ein Bettelmönch sollte dort kaum auffallen. In Boos war er zu bekannt, und bei St-Cyr-du-Vaudreuil lag ein Kloster des Dominikaner-Ordens, sodass er den Ort meiden musste.
    Es bestand für ihn kein Zweifel: Sobald Henri merkte, dass er geflohen war, würde er ihm die Häscher des Landvogts hinterherjagen. Womöglich waren ihm schon die Soldaten auf der Spur. Immerhin hatte er einen Vorsprung von etwa sechs Stunden, wobei seine Verfolger nicht wussten, in welche Richtung er geflohen war. Das blieb der einzige Vorteil. Eine Karte wäre ein weiterer großer Vorteil. Er war in seinem Leben nicht weit herumgekommen – kannte nur den Hof

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