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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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Euch sehe ich niemanden«, zischte Henri. Er sah an Raphael vorbei zum Pult. »Beantwortet meine Frage!«
    »Ich … ich«, stammelte Raphael. »Ich möchte Euch um Vergebung bitten.«
    Henri sah ihn misstrauisch an. »Ihr mich um Vergebung bitten?«, echote er. »Wofür?«
    Raphael hatte sich wieder im Griff. »Für mein Verhalten bei Gericht, ehrwürdiger Vater. Gewiss, meine Respektlosigkeit ist unverzeihlich, aber wenn Ihr mir eine Buße auferlegt, will ich die heilige Mutter Gottes bitten, mir meine Sünden zu vergeben.«
    »Habt Ihr hier herumgeschnüffelt?«, wollte Henri wissen. »Habt Ihr Dinge gesehen, die Euch nichts angehen?«
    Raphael lachte. »Herumgeschnüffelt, ehrwürdiger Vater? Dinge gesehen? Nein, nein, ich habe hier auf Euch gewartet.«
    Nachdenklich legte Henri eine Hand unter das Kinn.
    »Ich bin gewillt, jede Buße auf mich zu nehmen, ehrwürdiger Vater«, sagte Raphael. »Bestraft mich, wie Ihr es für angemessen erachtet.«
    Henri grinste. »Eine Buße erwartet Ihr? Nein, keine Buße. Ich habe noch ein Schreiben für den Landvogt aufzusetzen. Gebt es einem Novizen und tragt ihm auf, es unverzüglich nach Rouen zu bringen.« Er ging an Raphael vorbei an das Pult und setzte das Schriftstück auf. Dann faltete er es zusammen, siegelte es und reichte es Raphael.
    »Habt Dank für Eure Güte, ehrwürdiger Vater«, sagte Raphael und verneigte sich. »Ich gebe es sogleich einem Novizen.«
    Henri wedelte mit den Händen. Raphael ging rückwärts aus dem Arbeitsraum. Draußen vor der Türe lehnte er sich gegen die kalte Wand und atmete tief durch. Ob Henri sein Spiel durchschaut hatte? Vermutlich nicht, denn warum hätte er ihn sonst so einfach ziehen lassen?
    Während der Schweiß an seinem Körper allmählich trocknete, weckte er einen Novizen, gab ihm das Schriftstück und trug ihm auf, was Henri ihm befohlen hatte. Der Novize machte sich umgehend auf den Weg.
    Während er zurück in seine Kammer ging, beschlichen Raphael Zweifel. Selbst ein Narr hätte Raphael die Ausflüchte nicht abgekauft. Und Henri le Brasse war gewiss kein Narr. Wenn Henri also auf Raphaels Schauspiel einging, musste er einen Grund dafür haben. Er wusste, dass Raphael etwas gesehen hatte, was er nie hätte sehen dürfen. Raphaels Gedanken sprangen hin und her. Schließlich entschied er sich, in der Nähe des Abthauses zu bleiben, um zu beobachten, was in dieser Nacht noch geschehen würde.
    Im Klostergarten, zwischen hohen Hecken und Büschen, verbarg er sich. Von hier aus hatte er einen guten Blick auf das Abthaus und das Klostertor. Nun hieß es warten.
    Raphael wusste nicht, wie lange er schon dort hockte, als das Tor sich öffnete und der Novize mit zwei berittenen Soldaten ins Kloster zurückkam. Die Männer gaben dem jungen Mönch die Zügel ihrer Pferde und gingen geradewegs auf das Abthaus zu. Sie klopften, und Henri ließ sie ein.
    Nun fühlte sich Raphael in seinen Vorahnungen bestätigt. Er schlich aus dem Garten zum Abthaus hinüber und spähte durch ein Fenster in den Arbeitsraum. Dort stand Henri an seinem Pult. Er schrieb irgendetwas auf ein Pergament, unterzeichnete und siegelte es.
    »Hier, nehmt diese Urkunde«, sagte Henri, und erst jetzt traten die Männer in Raphaels Blickfeld. Einen von ihnen kannte er flüchtig. Irgendein Hauptmann der Stadtwache. Der Hauptmann nahm das Schriftstück entgegen und las es sorgfältig durch.
    Dann sprach Henri den Satz, der Raphael das Blut in den Adern stocken ließ: »Ihr kommt nach dem Morgengebet und nehmt Raphael de Dreux fest. Bereitet den Hexenturm für den Ketzer vor.«
    Raphael sank in die Knie. Konnte es wahr sein? Henri ließ ihn verhaften und in den Hexenturm werfen? Er musste den Bischof über diesen Fall in Kenntnis setzen. Doch Raphael verwarf den Gedanken sogleich wieder. Der Bischof würde Henri aus der Hand fressen. Und schließlich war Bischof de Margaux Zeuge seiner, Raphaels, Ausführungen vor Gericht gewesen. Nein, die Hilfe des Bischofs zu suchen war keine Lösung. Wer konnte dann helfen? Der Generalmagister in Rom oder der Heilige Vater höchstselbst, der in Avignon residierte. Rom war weit und die Unterstützung des Ordensgenerals ungewiss. Nicht minder ungewiss war die Hilfe des Papstes, doch kannte Raphael Clemens VI. aus der Zeit, als der noch den Namen Pierre Roger de Beaufort trug und Erzbischof von Rouen war. Der Heilige Vater musste Kenntnis davon erhalten, dass Henri unschuldigen Menschen den Prozess machte, sie folterte und verbrannte.

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