Hexengericht
Wirt, um ihn an die Pest zu erinnern. Er knurrte einen kräftigen Fluch, den er von einem fränkischen Scherenschleifer auf einer Reise durch Süddeutschland gelernt hatte, nestelte an seinem Ledersack und förderte das Shaboc zu Tage. Den merkwürdigen Würfel hatte er von einem persischen Kaufmann bei einem Gastspiel in Cabasson erworben. Er war aus Holz gefertigt und mit Kerben, Schiebern, Öffnungen und Aussparungen versehen. Bildhübsche Malereien von orientalischen Schönheiten und Schriftzeichen zierten die Oberfläche des Shaboc. Der alte Perser hatte ihm damals gesagt, dass nie ein Mensch in der Lage sein würde, den Würfel in der richtigen Form zusammenzusetzen und damit das Geheimnis des Shaboc zu lüften. Pierre schalt ihn einen Narren und versuchte seitdem, dem Geheimnis des Würfels auf die Spur zu kommen. Es war ihm oft gelungen, einige der Figuren und Schriftzeichen in Einklang zu bringen, aber nie hatte er es vermocht, den ganzen Würfel derart zusammenzufügen, dass alles zueinander passte. Und dem Henkersknecht würde es auch nicht gelingen.
Brot und Käse standen auf dem Tisch. Der Barde merkte, dass Pierre nicht zu einem Gespräch aufgelegt war, und zog sich hinter die Theke zurück. Die Lust zu einem Lied war ihm dennoch nicht vergangen.
Während der Barde seine Weisen trällerte, spielte Pierre gedankenversunken mit dem Shaboc. Alles hing jetzt von diesem alten Würfel ab. Und davon, dass Pierre die Henkersknechte richtig einschätzte.
Es mochte gegen Mitternacht gehen, als die Tür mit einem dumpfen Knall aufflog. Herein kam auf unsicheren Beinen … der Knecht, dessen Uringestank Pierre in die Nase stieg. Pierres Körper spannte sich. Es war so weit.
»Barde!«, brüllte der Knecht. »Gib mir zwei Krüge Wein!«
Der Barde verstummte augenblicklich. »Sofort«, sagte er und holte die gewünschten Krüge.
Ohne Dank nahm der Knecht die Krüge, warf dem Barden zwei Münzen hin und schickte sich an, die Schänke wieder zu verlassen. Dabei fiel sein Blick auf den merkwürdigen Würfel. »Was ist das?«, lallte er.
Pierre tat gelangweilt. »Das? Das ist ein Shaboc. Du wirst es kaum kennen.«
»Ist das ein Werkzeug?«
Pierre lachte auf. »Oh, nein. Es ist ein Spiel. Ein Exercitium des Geistes und des Körpers. Aber nur die Klügsten und Stärksten können es lösen.«
Unvermittelt packte der Knecht Pierre und riss ihn vom Stuhl. »Willst du etwa behaupten, ich wäre dumm?«
Angewidert von den Speichelkaskaden in seinem Gesicht, sagte Pierre schnell: »Nein, nein. Nie würde ich so etwas in den Mund nehmen. Sieht doch ein jeder beispielhaft an dir, dass starke Muskeln einen starken Verstand erschaffen.«
Aus zusammengekniffenen Augen starrte der Knecht Pierre an. Dann ließ er von ihm ab. »Gib mir das Ding.«
»Nein, du würdest es nur kaputtmachen. Außerdem traue ich dir nicht zu, das Geheimnis zu lüften.«
»Konntest du es?«, fragte der Knecht.
Pierre nickte. »Bei meiner Seel’.«
»Dann kann es so schwierig kaum sein«, höhnte der Knecht.
»Wohl bin ich nicht so stark wie du«, sagte Pierre in gekränktem Ton, »aber ich bin dem Geheimnis in einer Nacht auf die Spur gekommen.«
Dieser Herausforderung konnte der Knecht sich nicht entziehen. Er beugte seinen Kopf zu Pierre hinunter. »Ich wette mit dir, dass ich das Rätsel lösen kann – noch in dieser Nacht. Ein kleines Würstchen wie dich schlage ich allemal.«
Mit gespielter Entrüstung sagte Pierre: »Nun gut, dann versuch dein Glück. Ich gebe dir zehn Sous, wenn du es schaffst.«
Der Knecht stellte die Krüge auf den Tisch. »Ach, ja! Die Krüge! Ich kann nicht bleiben«, sagte er enttäuscht.
»Aha!«, machte Pierre. »Erst große Töne spucken und sich dann vor der Blamage drücken.«
»Ich muss den Wein zum Hexenturm bringen.«
Pierre spielte seine Rolle hervorragend. »Ich könnte ja für dich die Krüge zu deinen Freunden tragen, aber vielleicht ist es doch besser, du gehst selber. Das Shaboc wirst du niemals lösen.«
Der Plan ging auf. »Ich nehme dein Angebot an«, schnaufte der Knecht. »Jetzt gib mir diesen verdammten Würfel.«
»Hier«, sagte Pierre und reichte dem Knecht das Shaboc. Er stellte sich dicht neben den Knecht. »Diese Schieber kannst du hin und her bewegen. Wenn du auf die Kerben drückst, öffnen sich weitere Aussparungen, in die einige der Schieber eingeschoben werden können. Am Ende muss der Würfel wieder komplett sein, die Schriftzeichen und Figuren müssen in der richtigen Weise
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