Hexengericht
Raphael.«
»Es war ein langer Tag, Madame«, sagte Raphael.
»Bruder Raphael musste aus dem Kloster fliehen, meine Liebe«, warf Gousset ein. »Die Inquisition trachtet ihm nach dem Leben.«
Jeanne starrte Raphael erschrocken an. »Das ist ja furchtbar«, hauchte sie. »Welchen Verbrechens klagt man Euch an?«
»Ketzerei«, antwortete Raphael.
»Ihr ein Ketzer?«, fragte Jeanne. Sie schüttelte den Kopf. »Das muss ein Irrtum sein.«
»Ein Irrtum?«, wiederholte Raphael. »Nein, kein Irrtum. Vielmehr der kalkulierte Versuch, mich mundtot zu machen.«
Jeanne sah Raphael fassungslos an.
»Bruder Raphael reist nach Avignon, um die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu widerlegen«, sagte Gousset.
Jeanne nickte langsam. »Ich wünsche Euch viel Glück auf Eurer Reise, Bruder. Wenn wir Euch irgendwie helfen können …«
»Euer Gemahl in seiner Großzügigkeit hat versprochen, mir ein wenig Geld zu geben. Das ist Hilfe genug.«
»Aber Ihr bleibt doch über Nacht?«, fragte Jeanne.
»Ja«, sagte Gousset. »Seid über Nacht unser Gast. Es wäre uns eine große Freude. Morgen könnt Ihr dann ausgeruht und gestärkt nach Les Andelys reiten.«
»Ihr seid sehr freundlich, Seigneur«, lächelte Raphael. »Aber jede Stunde, die vergeht, erhöht die Gefahr, dass ich entdeckt werde. Ich muss noch in dieser Nacht weiter.«
»Gut, gut«, sagte Gousset und ging hinüber zu einer verzinkten Lade in einer Ecke des Raumes. Er holte einen kleinen ledernen Beutel heraus, in dem Münzen klangen. Raphael nahm ihn mit einer dankbaren Verbeugung entgegen.
»Sei nicht kleinlich und gib dem Bruder einige Münzen mehr«, bat Jeanne. »Die Reise ist lang.«
Gousset wandte sich kurz zu seiner Frau, dann sah er wieder Raphael an.
»Aber gewiss«, sagte er und lächelte gezwungen. »Wie unbedacht von mir. Natürlich kommt Ihr mit den wenigen Münzen nicht weit.« Erneut ging er zu der Lade und holte einen weiteren Beutel hervor.
»Habt Dank, Seigneur«, sagte Raphael. »Habt Dank für Eure Gastfreundschaft und Eure Barmherzigkeit. Gottes Segen mit Euch.«
»Gott mit Euch, lieber Bruder«, rief Jeanne Raphael hinterher, der sich anschickte, das Haus zu verlassen.
An der Tür angekommen, gaben sich die beiden Männer die Hand. »Viel Glück, Bruder. Ihr werdet es brauchen.«
Raphael nickte. Er verneigte sich leicht und stapfte dann durch den Schnee hinüber zu seinem Pferd. Ob Gousset verstimmt war? Auch war Raphael nicht entgangen, wie unglücklich dessen Frau war. Hoffentlich schlägt er sie nicht, dachte er, als er sein Pferd bestieg und in langsamem Tritt das Gut verließ.
»Du bist wohl des Teufels! Was ist nur in dich gefahren?« Gousset holte aus und schlug die flache Hand in Jeannes Gesicht.
Sie stürzte zu Boden. Erschrocken und verständnislos starrte sie ihren Mann an. »Was habe ich denn getan?«
Gousset baute sich drohend vor ihr auf. »Da fragst du noch?«, donnerte er. »Hast du nicht gehört? Er ist ein Ketzer!«
»Ich … ich verstehe nicht. Bruder Raphael ist unschuldig. Du selbst hast ihm doch eben Geld gegeben, damit er seine Unschuld beweisen kann.«
»Törichtes Weibsbild!«, fauchte Gousset. »Ich habe es ihm gegeben, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Durch deine Schuld ist er nun mit weit mehr Geld fort, das ich nie wieder sehen werde. Oder glaubst du, die Inquisition gibt es mir zurück?«
Jeanne verstand noch immer nicht. »Was hat die Inquisition mit deinem Geld zu tun?«
Wieder holte Gousset aus und schlug Jeanne, dass sie aufschrie und noch näher an die Wand rutschte. Blut lief aus einem Mundwinkel auf ihr blaues Gewand. »Hat dein Vater dich gar keine Gottesfurcht gelehrt, dummes Weib? Raphael ist ein Ketzer, und als Christ ist es meine Pflicht, zur Ergreifung des Renegaten beizutragen, damit er seiner gebührenden Bestrafung zugeführt wird.«
»Das kannst du nicht tun«, sagte Jeanne. »Er ist unser Freund.«
Gousset achtete nicht weiter auf sie. Er rief den Famulus und befahl ihm, zwei Pferde zu satteln.
Jeanne glaubte kein Wort von der Ketzerei. Sie kannte Raphael gut genug. Sie sprang auf, lief zur Tür und rief den Famulus zurück. Als er erschien, schaute er verwundert von Jeanne zu Gousset und wieder zu Jeanne. »Die Pferde bleiben im Stall«, befahl sie dem Diener. »Mein Gemahl hat sich umbesonnen.«
Aus großen Augen starrte der Famulus seinen Herren an. »Seigneur?«, fragte er.
»Ich habe dir eine deutliche Anordnung gegeben!«, krächzte Gousset. »Geh und befolge sie
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