Hexengericht
Aquamanilen, eines mit warmem Wasser, eines mit kaltem. Im Bewusstsein seines Standes wählte er das kalte Wasser, um seine Hände darin zu waschen. Nun trug die Wirtsfrau eine große Schale mit grauem Hirsebrei auf, die Raphael so schnell verschlang, dass mit dem letzten Löffel noch nicht einmal der Bierkrug auf dem Tisch stand. Nach dem Mahl wischte er Mund und Finger am Tischtuch ab und rülpste und furzte kräftig.
Sofort eilte der Wirt herbei. »Es hat Euch geschmeckt?« Offenbar hatte er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass der Gast doch mehr zu speisen gedachte.
»Vorzüglich, Herr Wirt«, sagte Raphael, der sich nur zu gern unter den Tisch gelegt hätte, um ein kleines Nickerchen zu machen. Doch er durfte dem Bedürfnis nicht nachgeben. Daher fragte er nur nach der Höhe der Zeche.
»Ein Sou, Bruder«, brummte der Wirt.
Beim Anblick des großen Geldbeutels in Raphaels Hand gingen dem Wirt die Augen über. Raphael bemerkte den Blick und sagte schnell: »Ich bin im Auftrag der Diözese unterwegs.« Woraufhin der Wirt seine Neugier zügelte.
Satt und ausgeruht verließ Raphael das Wirtshaus. Draußen empfing ihn erneut der eisige Wind. Er zog die große Kapuze seines schwarzen Skapuliers über den Kopf und wollte gerade auf sein Pferd steigen, als eine weibliche Stimme seinen Namen rief. Raphael blickte sich um, doch wegen der Kapuze konnte er nicht viel sehen. Wieder rief die Stimme seinen Namen. Er streifte die Kapuze zurück in den Nacken, da sah er sie von einem stolzen Rappen steigen und auf ihn zulaufen: Jeanne Gousset! »Bei Gott!«, flüsterte er.
»Bruder Raphael!«, rief Jeanne. »Ein Wunder, dass ich Euch gefunden habe.«
»Madame Gousset!«, stieß Raphael hervor. »Was in Gottes Namen habt Ihr hier verloren?«
Sie holte tief Luft. »Ihr seid in großer Gefahr, Bruder Raphael. In sehr großer Gefahr.«
»Ich … ich verstehe nicht«, stotterte Raphael. »Was tut Ihr hier in Les Andelys? Hat Euer Gemahl Euch geschickt?« Er sah die Verletzungen in ihrem Gesicht und stutzte. »Hat der Seigneur Euch …?«
»Fragt nicht«, sagte Jeanne. »Hört mir zu. Auguste ist, nachdem ihr fort wart, zum Kloster geritten, um Euch der Inquisition ans Messer zu liefern. Er hat den Prior über Eure Pläne unterrichtet. Gewiss sind bereits Männer ausgesandt, Euch zu verhaften. Wir müssen fort von hier. Fort, so schnell es geht.«
Raphaels Gedanken rasten. Auguste Gousset hatte ihn verraten? Ihn? Es konnte nicht wahr sein. »Weshalb sollte er so etwas tun?«, fragte er Jeanne.
»Ihr habt doch selbst gesagt, Ihr wäret ein Ketzer«, gab Jeanne mit eindringlicher Stimme zurück. »In seinem Eifer ist er davon überzeugt, Euch, den Ketzer, an die Kirche verraten zu müssen.«
»Aber ich habe doch gesagt, dass ich zu Unrecht verfolgt werde«, sagte Raphael.
Jeanne schüttelte den Kopf. »Das zählt für Auguste nicht. Zudem bin ich sicher, dass er eine Belohnung erwartet, was seinen Entschluss nur festigte.«
»Das kann ich nicht glauben«, flüsterte Raphael.
»Glaubt es und kommt!«, sagte Jeanne und packte Raphael am Arm. Er konnte gerade noch die Zügel seines Pferdes nehmen.
Unten am Fluss lief ihnen der Fährmann schon mit beiden Händen fuchtelnd entgegen. »Ich wollte soeben nach Euch schicken«, rief er. »Der Fluss ist frei, die Fähre abfahrbereit.«
Mit einem kräftigen Schlag auf das Hinterteil ließ Raphael sein verängstigtes Pferd auf die schaukelnde Fähre springen. Danach half er Jeanne und Giacomo an Bord. Wegen der langen Wartezeit war auch der kleinste Fleck auf der Fähre mit Menschen, Tieren, Fässern und Kisten belegt. Hinter Raphael und Jeanne spannte der Fährmann ein Seil. Er rief drei jungen Männern etwas zu, sprang auf die Fähre, und sogleich zogen die drei Männer an einem armdicken Tau, das von einem Ufer zum anderen gespannt und mit der Fähre verbunden war.
Erleichtert darüber, dass es endlich wieder weiterging, blickte Raphael zur Anlegestelle und zu dem kleinen Hafen zurück. Einige verspätete Fahrgäste liefen zum Ufer und riefen dem Fährmann zu, er solle umkehren. Der rief zurück, sie sollen sich etwas gedulden, er würde bald wieder dort sein. Aufmerksam beobachtete Raphael die Leute am Ufer. Ein Schmied schwang drohend seinen Hammer, während seine Frau ein kleines Bündel in den Armen trug. Daneben stand pöbelnd ein Waschweib. Und neben ihr – ein Dominikaner! Schweigend starrte er der Fähre nach. Raphael gefror das Blut in den Adern. Er kannte den
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