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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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nahm sein Pferd, das nun wieder ganz ruhig war, und betrat die Fähre. Er schaute nach Luna und Amicus, konnte beide in dem Gewühl aber nicht finden.
    Die Fahrt war nur von kurzer Dauer. Kaum war die Fähre am Anleger, da stieß der Dominikaner die Leute beiseite und schrie sie an: »Aus dem Weg! Aus dem Weg mit euch, in Gottes Namen!« Schnell war eine Gasse gebildet, und der Mönch preschte über die Fähre, über den Anleger und verschwand im angrenzenden Wald. Zwei Knaben fanden zuerst die Fassung wieder. Johlend liefen sie durch die Gasse, den Steg hinauf, wo sie dann Fangen spielten. Pierre folgte ihnen zügig, damit er nicht auf die anderen Passagiere warten musste. Dreißig Schritte vom Anleger entfernt hielt er nach seinen Freunden Ausschau.
    Plötzlich tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter. »Luna!«
    »Wie du siehst.« Sie lächelte.
    »Wo ist Amicus?«
    Sie zeigte zur Fähre. Amicus führte missmutig sein Pferd zu ihnen. »Ich hasse Schiffe«, sagte er. »Mir wird es speiübel auf See.«
    Pierre lachte. »Die Seine mit der See zu vergleichen ist etwas weit hergeholt, mein Freund.«
    »Wie dem auch sei«, murmelte Amicus. »Wie geht es weiter? Sollen wir getrennt reiten?«
    Luna schüttelte den Kopf. »Die Gefahr ist vorerst vorüber.« Sie schaute zum Himmel hinauf, wo dichte dunkle Wolken dahinzogen. »Der Abend naht. Wir kehren in ein Gasthaus ein. Morgen müssen wir vor Einbruch der Dunkelheit in Digny sein.«
    Sie stiegen auf und ritten im Trab in den Wald hinein.
    Ein jeder von ihnen hing seinen Gedanken nach. Auch der Wald schwieg. Keine Eule rief durch die Nacht, kein Wolf heulte den Mond an, kein Fuchs, der auf Beutezug durch das Unterholz pirschte. Vollkommene Stille. Das eintönige Hufgetrappel sorgte schließlich dafür, dass Pierre sanft im Sattel einschlummerte.
    Währenddessen ritt Amicus voran, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen. Er übernahm diese Aufgabe mit höchster Gewissenhaftigkeit. Nichts und niemand konnte ihnen zu nahe kommen.

    Unterdessen waren Raphael und Jeanne tief in den Wald eingedrungen. Keiner der beiden sprach darüber, ob Jeanne Raphael begleiten sollte. Es war irgendwie selbstverständlich – so selbstverständlich wie dass bald die Sonne unterging.
    »Ihr kennt den Weg?«, fragte Jeanne irgendwann.
    »Ich habe eine Karte«, antwortete Raphael tonlos.
    »Ihr schaut Euch oft um«, fuhr Jeanne fort. »Ich habe das Gefühl, etwas stimmt nicht.«
    »Es ist alles in Ordnung, Madame.«
    Jeanne lachte. »Ihr seid ein miserabler Lügner, Bruder Raphael. Ich glaube …« Weiter kam sie nicht, denn Raphael schnappte nach ihren Zügeln und preschte mit beiden Pferden und Jeanne einen Hang herunter. Hinter einer Baumreihe mit Blick auf den Pfad hielt er an. Jeanne riss den Mund auf, um sich zu beschweren, aber Raphael bedeutete ihr, zu schweigen.
    Die Zeit verging. Plötzlich hörten sie in der Ferne Hufgetrappel. Schnell kam es näher. Es hörte sich an wie eine ganze Horde wilder Reiter. Wie ein Blitz stürmte plötzlich der unbekannte Dominikaner aus Les Andelys an ihnen vorbei. Raphael vermochte kaum sein Gesicht zu sehen, so schnell war der Spuk vorbei.
    Aus aufgerissenen Augen starrte Jeanne ihren Begleiter an. »Wer war das? Und sagt mir nicht, es wäre alles in Ordnung.«
    Raphael sah ein, dass er Jeanne die Wahrheit sagen musste, obwohl er sie selbst nur ahnte. »Ich kenne den Mann nicht. Doch vermute ich, Henri le Brasse hat ihn gesandt, mich aufzuspüren und zu verhaften.«
    Jeanne nickte. »Ich verstehe«, sagte sie. »Was gedenkt Ihr nun zu tun?«
    »Fortan müssen wir noch vorsichtiger sein«, antwortete Raphael.
    »Ach«, sagte Jeanne.
    Laut lachend saß Raphael auf seinem Pferd, und die Anspannung fiel von ihm ab. »Madame, Ihr seid einmalig, und Eure Gesellschaft ein Segen«, sagte er lachend. »Ich schlage vor, wir rasten hier im Wald. Morgen reiten wir nach Evreux, dann weiter nach Dreux, zum Hof meiner Eltern. Da Euer Gemahl meine Pläne kannte, ist der Weg nach Avignon weit gefährlicher geworden. Henri wird alles unternehmen, um mein Gespräch mit dem Heiligen Vater zu verhindern.«
    »Ihr habt eine gute Seele und Gottes Liebe in Eurem Herzen, Bruder«, sagte Jeanne. »Nun lasst uns ein geschütztes Plätzchen für die Nacht suchen.«
    Bevor Raphael ein Wort sagen konnte, ritt sie weiter in den Wald hinein. Auf einer Lichtung machten sie Halt und suchten Reisig für ein Feuer zusammen. Als die Flammen zaghaft an den Hölzern nagten,

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