Hexengericht
ihnen hatte Eve das Messer in den Rücken gestoßen. Ich schrie auf, voll unbändiger Wut, zog das Messer aus dem Rücken meines geliebten Weibes und rammte es einem nach dem anderen bis zum Heft in ihr verdammtes Herz.«
»Gütiger Gott«, flüsterte Pierre.
»Dann lief ich zu Eve und brachte sie heim«, erzählte Amicus weiter. »Mit jedem Atemzug strömte das Leben aus ihrem Körper. In ihren letzten Augenblicken nahm sie mir das Versprechen ab, mein Leben fortan zu ändern. Ich solle mir eine ehrbare Arbeit suchen, ein guter Christ sein – und ich musste ihr versprechen, anderen zu helfen, die meiner Hilfe bedürfen.«
Jetzt begriff Pierre die Zusammenhänge. »Daher Lunas mysteriöse Anspielung.«
Amicus schüttelte den Kopf. »Ich habe nie ein Wort darüber verloren. Niemand war bei uns, als Eve ihr Leben aushauchte. Woher zur Hölle kann Luna davon wissen?«
Pierre sah darin einen weiteren Beweis für Lunas geheimnisvolle Gabe. »Glaubst du ihr jetzt?«, fragte er, obwohl er eine Antwort fürchtete.
»Ich bin mir nicht mehr so sicher«, antwortete Amicus. »Vielleicht hat sie das zweite Gesicht, vielleicht aber auch nicht.« Er zog sein Messer aus der Scheide am Gürtel und bettete seinen Kopf auf ein Kissen. So starrte er stumm an die Decke.
Pierre entschied, Amicus nicht weiter zu bedrängen. Sollte sich Lunas Prophezeiung als wahr erweisen, würde der Freund nicht mehr zweifeln. Mit diesen Gedanken fiel Pierre in einen tiefen Schlaf, während die Kerze auf dem Tisch langsam herunterbrannte.
Bis mit einem Donnerschlag das Fenster aufflog und ein starker Windhauch die Kerze ausblies. Pierre und Amicus schraken auf. Auch der starke Messerwerfer war eingeschlafen. »Es ist so weit«, flüsterte er und stand auf.
»Sei vorsichtig«, flüsterte Pierre zurück.
Wie eine Katze auf leisen Pfoten schlich Amicus zur Tür und lauschte. Auf dem Flur schien alles still. Behutsam öffnete er die Tür und spähte durch einen Spalt hinaus. Es war stockdunkel. Er nahm das Messer zwischen die Zähne und schob sich vorsichtig durch die Tür. Noch immer nicht das leiseste Geräusch. Seine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und er sah, dass d’Aubracs Tür sperrangelweit aufstand. Auf Zehenspitzen schlich er hinüber und konnte nun schemenhaft eine Gestalt erkennen, die sich über das Bett von Maurice d’Aubrac beugte.
Amicus zögerte nicht mehr. Er packte sein Messer an der Spitze, holte aus und warf es nach dem Schemen. Ein erstickter Schrei durchbrach die Stille, dann ein lautes, schmatzendes Geräusch, und die Gestalt brach gurgelnd zusammen.
»Licht!«, brüllte d’Aubrac. »Macht Licht!«
Schon war Pierre mit der Kerze in der Kammer. Auf dem Boden zu d’Aubracs Füßen lag Basile Matour, der Verräter. Im Rücken steckte Amicus’ Messer, im Bauch das Schwert d’Aubracs. Der alte Haudegen war also vorbereitet gewesen.
Im Nu war die gesamte Mannschaft in der Kammer versammelt. Nur Luna erschien nicht.
»Was ist passiert?«, fragte einer der Männer und starrte verständnislos auf die Leiche des Kameraden.
»Der verdammte Hurensohn wollte mir die Kehle durchschneiden!«, donnerte d’Aubrac. Er spie auf Basiles Rücken und versetzte dem Toten einen Tritt in die Rippen. »Schafft ihn fort!«, befahl er. »Und dann geht wieder zu euren Huren. Wird’s bald!«
Zwei Männer packten den Verräter und brachten ihn aus der Kammer. Dabei zogen sie eine lange dunkelrote Blutspur hinter sich her. Die anderen verließen leise murmelnd das Schlafgemach ihres Anführers. Nur Pierre und Amicus blieben zurück.
D’Aubrac reichte den beiden die Hand. »Ich bin euch zu tiefstem Dank verpflichtet«, sagte er. »Eure Begleiterin hat also doch Recht behalten.« Er schüttelte den Kopf. »Unfassbar. Wo ist sie überhaupt?«
»Ich nehme an, sie schläft«, antwortete Pierre.
D’Aubrac lachte. »Sie hat das Gemüt eines alten Kämpen. Aber wir sollten ihrem Beispiel folgen. Der Morgen bricht schon bald an. Habt eine gute Nacht und seid euch meines Dankes sicher.«
Pierre und Amicus erwiderten die Wünsche und gingen zurück in ihre Kammer. Wortlos entledigten sie sich ihrer Kleidung, und wortlos schliefen sie ein.
Am nächsten Morgen fanden sie d’Aubrac vor dem Gasthaus hoch zu Ross. Seine Männer verluden die letzten Kisten und Truhen auf zwei Wagen.
D’Aubrac winkte, als er Luna erblickte. »Mademoiselle!«, rief er und lenkte sein Pferd Luna entgegen.
»Es freut mich«, sagte Luna, »dass
Weitere Kostenlose Bücher