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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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der Stadt ergangen?«
    »Es herrschte Stille«, antwortete sie. »Die Ritter waren fort, und die Menschen versteckten sich in ihren Häusern. Ich war also nicht in Gefahr.« Sie hob die Taschen hoch. »Ich habe das Geld.«
    Raphael ahnte, dass mehr geschehen war als das, was Luna erzählen wollte. Er rüttelte sanft an Jeannes Schultern. Ihr müder Blick fiel auf Raphael, dann auf Luna. Freudig sprang sie auf und umarmte das Mädchen.
    Nun wachten auch Pierre und Amicus auf. Pierre schmollte noch ein wenig, konnte aber seine Freude und Erleichterung über Lunas Rückkehr nicht verbergen.
    So schnell das Frühstück bereitet war, so schnell war es auch verschlungen. Kurz beratschlagten die Freunde, wie sie jetzt vorgehen sollten. Sie kamen überein, möglichst bald weiterzuwandern.
    Bis zur Mittagszeit hatten sie die Berge und Hügel hinter sich gelassen. Ihr Blick war nun frei bis zum diesigen Horizont. Erschöpft erreichten sie das flache Land und folgten der Straße nach Calvisson. Dort kauften sie vier neue Pferde, Proviant und Kleidung. Pierre wollte sich, wie er sagte, »ein wenig umsehen«. Nach einer Stunde kehrte er zurück, im Gepäck ein rostiges Schwert und eine seltsame maurische Kopfbedeckung, die er Fez nannte – eine rote, kegelförmige Kappe aus Filz, an der eine dunkelblaue Quaste baumelte. Aus einem Sack zauberte er eine Laute hervor.
    Nach einem stärkenden Mahl stiegen sie auf ihre Pferde und verließen Calvisson. Ihr nächster Halt auf dem Weg nach Montpellier sollte das Städtchen Lunel sein. Raphael schätzte, dass sie dort in zwei Tagen eintreffen würden.
    Irgendwann, sie waren schon Stunden unterwegs, sagte Luna unvermittelt: »Lieber Pierre, spiel uns etwas auf der Laute vor. Bitte.«
    Zuerst schüttelte Pierre verlegen den Kopf. Dabei schlenkerte der Bommel vor seinen Augen hin und her. Doch dann holte er das Instrument hervor und stimmte die Saiten.
    »Spiel ein Liebeslied, Pierre«, sagte Jeanne.
    »Wie Ihr wünscht, Madame.« Pierre räusperte sich, legte vorsichtig die Finger auf die Saiten und sang mit glockenheller Stimme:
    »Warum bin ich nicht der Rasen, der empfängt in schöner Nacht
    meine Schäferin zum Schlafe, den die Liebe wohl bewacht?
    Warum bin ich nicht die Brise, streiche über ihren Bauch,
    unter ihrem Fuß die Wiese und in ihrem Mund der Hauch?«
    Pierre sang so voller Leidenschaft und Hingabe, dass Jeanne Tränen in die Augen traten. Sanft klang das Lied aus. Pierres Finger glitten langsamer über die Saiten, bis sie ganz innehielten.
    »Das war ein sehr schönes Lied«, sagte Jeanne nach einer Weile. »Hat es dir auch gefallen, Luna?«
    Luna, die an der Spitze der Gruppe ritt, antwortete nicht.
    »Luna?«, wiederholte Jeanne.
    Wieder gab sie keine Antwort. Plötzlich wurde das Pferd langsamer und blieb stehen. Luna schwankte hin und her. Dann fiel sie wortlos aus dem Sattel und blieb auf dem trockenen Boden liegen.
    Sofort sprang Raphael von seinem Pferd. Er lief zu Luna und bettete ihren Kopf in seinen Schoß. Sie schien ihn nicht zu erkennen. Ihre Lider waren halb geschlossen, ihr Atem ging stoßweise. Das Gesicht war blass und glänzte fiebrig. Ein schlimmer Verdacht stieg in Raphael hoch. Er schluckte schwer. Vorsichtig öffnete er die obersten Knöpfe von Lunas Kleid.
    »Herr im Himmel«, flüsterte Jeanne neben ihm.
    Pierre drängte sich vor, bis er Luna sehen konnte. »Was ist mit ihr?«, fragte er. »Was sind das für seltsame Beulen?«
    Amicus sah ihn aus traurigen Augen an. »Verstehst du denn immer noch nicht?«
    Entsetzt riss Pierre die Augen auf. »Das darf nicht sein!«, flüsterte er. »Das kann nicht sein! Niemals! Sie kann die Zukunft sehen; nie könnte sie sich die Pest holen! Nie und nimmer!« Er begann zu weinen.
    Jeanne stand auf und umarmte ihn. »Beruhige dich, Pierre. Alles wird gut. Das verspreche ich dir.«
    Pierre riss sich los. »Gar nichts wird gut!«, schrie er. »Und Ihr könnt mir nichts versprechen! Hört Ihr? Überhaupt nichts!« Weinend lief er in den Wald.
    »Lasst ihn gehen«, sagte Raphael. »Es ist schwer für ihn.« Liebevoll strich er über Lunas Gesicht.
    Jeanne riss ein Stück Stoff von ihrem Kleid. Sie machte es im nahen Fluss nass und legte es auf Lunas Stirn. »Sie ist kochend heiß«, flüsterte sie.
    »Gott allein kann ihr noch helfen«, flüsterte Raphael.
    Wortlos nahm Amicus Pierres Schwert und ging in den Wald. Dort schlug er starke Äste von den Bäumen und baute daraus eine Trage. Diese band er an Lunas Sattel.

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