Hexengericht
Dubocq, Medicus.« Er drehte sich um und rief es den Freunden zu: »Ein Medicus!«
Längst war Amicus damit beschäftigt, die Trage vom Sattel zu lösen. Vorsichtig ließ er Luna zu Boden. Pierre sprang mit einem Satz von seinem Pferd. Er half Jeanne herunter und drückte sie selig an seine Brust.
Derweil klopfte Raphael dreimal an die Tür. Keine Reaktion. Er klopfte erneut.
Eine hagere Gestalt in schwarzer Kleidung öffnete. In einer Hand hielt sie einen Federkiel. Unter schmalen grauen Brauen schauten ihnen dunkle Augen entgegen. »Wer seid Ihr?«
»Wir benötigen Eure Hilfe, Maître Dubocq«, sagte Raphael mit sich überschlagender Stimme. »Mein Name ist … Alfonse. Dies sind meine Freunde Edmond, Fernand, Gisèle und Julie.«
Der Arzt verzog angewidert das Gesicht. »Und was wollt ihr von mir?«
»Unsere Freundin Julie ist krank.« Er zeigte auf Luna, die, von Amicus bewacht, auf der Trage lag.
»Was ist mit ihr?«, fragte Dubocq argwöhnisch.
»Sie hat die Pest«, sagte Raphael.
Die dunklen Augen des Arztes weiteren sich vor Schreck. »Seid ihr des Teufels?« Er wollte die Tür zuschlagen.
Schnell schob Raphael einen Fuß zwischen Tür und Angel. »Bitte, Maître Dubocq, helft uns. Wir sind fremd in der Stadt und …«
Dubocq unterbrach Raphael scharf: »Es ist mir einerlei, wer ihr seid! Eine Pestkranke kommt mir nicht über diese Schwelle. Geht zu den Barbieren, Phlebotomisten oder Apothekern. Sie können euch in ausgezeichneter Weise helfen. Geht!« Er versuchte, Raphaels Fuß aus dem Türrahmen zu stoßen, war aber zu schwach.
Jeanne trat zu Raphael. »Wir haben Geld«, sagte sie und klimperte mit einem Beutel voller Münzen. »Viel Geld. Ihr werdet gut entlohnt.«
Das wirkte. Dubocq öffnete die Tür.
Amicus und Pierre trugen Luna in das Innere des Hauses. Raphael und Jeanne folgten.
In einem geräumigen Zimmer, in das viel Licht durch die Fenster einfiel, ließ Dubocq die Trage abstellen. »Legt sie auf das Bett«, sagte er zu Pierre und Amicus. Neben dem Bett stand ein langer Tisch mit einer Schale und einer Karaffe darauf. Dubocq goss reichlich Wasser in die Schale. Anschließend wusch er sich gründlich die Hände. Dann ging er zu einem breiten Schrank an der gegenüberliegenden Wand und holte allerlei Instrumente und Werkzeuge heraus. Zuletzt zog er die schweren Vorhänge vor die Fenster. Schnaufend zündete er drei Kerzen auf dem Tisch und die Kerzen in drei eisernen Kandelabern an. Echte Kerzen, nicht die stinkenden Talglichter der armen Leute.
Jeanne setzte sich auf einen Stuhl neben dem Schrank. Sie atmete schwer. Ihre Stirn war schweißnass.
»Habt Ihr etwas Wasser für uns, Maître?«, fragte Raphael mit Blick auf Pierre und Jeanne. Pierre stand blass am Fußende des Bettes und verfolgte aufmerksam jede Bewegung Dubocqs.
»Wenn ihr zahlt, habe ich Wein«, antwortete Dubocq. »Unten im Keller.«
Amicus lief sogleich in den Keller hinunter und kehrte wenig später mit einer Flasche Wein zurück, die er Jeanne gab. Sie trank einen großen Schluck und gab dann Pierre die Flasche.
Dubocq holte aus dem Schrank ein Büchlein, in dem Abbildungen menschlicher Körper zu sehen waren. Bestimmte Stellen an diesen Lassmännchen waren markiert und mit lateinischen Formeln versehen.
»Was geschieht jetzt mit ihr?«, fragte Pierre.
»Ich lasse sie zur Ader«, antwortete Dubocq.
»Ist das wirklich notwendig, Maître?«, wollte Raphael wissen. Er traute dem Aderlass nicht.
Dubocq seufzte. »Die Pest beruht auf einer Störung des Gleichgewichts der Säfte. In diesem Falle ist es die schwarze Galle. Um das Gleichgewicht wiederherzustellen, ist der Aderlass unabdingbar.« Er blätterte in dem Buch und studierte die Lassmännchen. Dann entschied er sich für zwei Lassstellen. Die erste fand sich an Lunas linkem Unterarm zwischen zwei hühnereigroßen Beulen. Dubocq band eine Lassbinde in Höhe des Ellbogens fest und wartete. Dann öffnete er die aufgestaute Vene mit einer Fliete, einem messerähnlichen Instrument. Das Blut fing er sorgsam in einem bronzenen Lassbecken auf. Die zweite Lassstelle lag an Lunas linker Schläfe. Er öffnete auch sie und fing das Blut in einem Lassbecken auf. Dann holte er eine Sanduhr hervor und stellte sie umgedreht auf den Tisch.
Luna schien von ihrer Umwelt nichts wahrzunehmen. Hin und wieder stöhnte sie leise auf und murmelte unverständliche Worte.
»Was geschieht nun?«, fragte Raphael.
»Wir warten«, gab Dubocq zurück.
»Wie lange?«
»Bis der Sand
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