Hexengericht
entgegnete Juda. Seine Züge spiegelten Zuneigung und Wärme wider.
»Ja«, sagte er leise.
»Sagt mir, woran Ihr es bemerkt habt«, bat Juda.
»Nun«, sagte Raphael gedehnt. »In der Nacht, in der wir einander trafen, seid Ihr gerade im rechten Augenblick an mir vorbeigegangen und habt auf Euch aufmerksam gemacht.«
»Das hätte Zufall sein können.«
»Gewiss«, sagte Raphael. »Aber Ihr trugt den Judenhut, nach dem wir gesucht haben. Ich habe Euch beobachtet. Wann immer Ihr das Haus verlassen habt, blieb Euer Hut am Haken. Nur in jener Nacht nicht.«
»Ihr habt Recht«, sagte Juda. »Ich verabscheue das hässliche Ding. Was fiel Euch noch auf?«
»Ihr wusstet den genauen Weg zu der Kirche, vor der Amicus und Madame Gousset mit Luna warteten.«
Juda nickte. »Weiter.«
»Ihr wusstet auch, dass ich Mönch bin«, fuhr Raphael fort. »Etwas, das Ihr keineswegs wissen konntet.«
»Ihr besitzt einen scharfen Verstand«, sagte Juda.
»Zudem sagtet Ihr, Ihr hattet einen Sohn. In der Kammer nebenan standen zwei Betten bereit. Eines davon frisch gezimmert. Ihr müsst also gewusst haben, dass nicht nur Luna, sondern auch Pierre Eurer Behandlung bedurfte.«
Juda klatschte in die Hände. »Gut, ich gebe mich geschlagen.«
»Da wären noch zwei Dinge, über die ich mir nicht ganz im Klaren bin«, sagte Raphael.
»Sprecht.«
»Was hat Euch und Luna derart belustigt an den vielen Abenden, die Ihr mit ihr allein in der Kammer zugebracht habt?«
»Oh«, kicherte Juda. »Ich gebe zu, ein gar schändliches Verhalten. Luna wollte wissen, wie Ihr in ihrem Alter wart. Ihr, Madame Gousset und Amicus. Da ihre Fähigkeiten sie verlassen haben, bin ich als ihr Auge in die Vergangenheit eingesprungen.«
»Und was habt Ihr gesehen?«
»Wie Ihr als Novize Bruder Bruno in der Brauerei geholfen habt und schlussendlich lallend vor Prior Michel Eure Trunkenheit beichten musstet.«
Raphael musste lachen. Bruno, dachte er, wie es ihm wohl in diesem Augenblick erging? Allzu fern waren die Brüder und das Leben, das er einst führte. Er wischte die Erinnerungen fort. Sie waren mehr Last als Nutzen.
»Was möchtet Ihr noch wissen?«, fragte Juda.
»Wie meint Ihr?«, fragte Raphael. Er war einen Augenblick lang verwirrt. Dann kehrte die Erinnerung zurück. »Ja, da ist noch etwas. Ihr habt gewiss gesehen, dass Amicus und ich auf Imbert treffen würden, wenn wir auf den Markt gehen.«
»Das ist richtig«, bestätigte Juda.
»Nur sagt mir, warum Ihr darauf gedrängt habt, dass wir gemeinsam und zu genau jener gefährlichen Stunde den Markt besuchen.«
»Das«, sagte Juda, »ist etwas, das Euch zu sagen mir verwehrt ist.«
»Aus welchem Grund?«
»Es gehörte zum Plan, dass Ihr auf Imbert trefft.«
»Ist es Euch nicht erlaubt, mir Näheres über diesen Plan zu offenbaren? Was ist das für ein Plan? Wer hat ihn erdacht und warum?« Raphael war verwirrt.
»Stellt Euch eine Landkarte vor«, sagte Juda, »auf der nur Dörfer und Städte eingezeichnet sind. Keine Straßen, keine Pfade, keine Flüsse, keine Brücken. Nun gibt es viele Möglichkeiten, die Orte zu erreichen, zu denen Ihr gehen müsst. Welche Ihr wählt, ist Euch überlassen. Dass Ihr dort ankommt, jedoch nicht.«
Raphael kratzte sich am Kopf. »Ihr meint, dass gewisse Dinge in eines Menschen Leben vorbestimmt sind, dass aber die Zeit dazwischen unseren eigenen Entscheidungen unterliegt.«
Juda nickte. »Das ist das, was wir Schicksal nennen. Wobei ein Ereignis nicht zwangsläufig etwas Großes sein muss, etwa Geburt, Tod oder eine Reise. Auch eine Entscheidung, die Ihr meint, aus eigenem Antrieb zu fällen, vermag vorbestimmt zu sein. Die Wahl, ob Ihr Wein oder Wasser zum Mittagsmahl trinkt, mag als ein Ort von vielen auf Eurer Landkarte verzeichnet sein.«
»Die Einflüsterung des Heiligen Geistes?«, fragte Raphael.
Juda lachte. »Ich bin ein Jude arabischer Abstammung in einem katholischen Reich. Ob Ihr das Schicksal nun Heiliger Geist, Gott, Allah oder Jahwe tauft, ist mir einerlei. Die Tatsache ist es, die zählt.«
»Ich weiß nicht, ob ich das verstehe«, sagte Raphael.
»Es ist nicht wichtig, ob Ihr den Plan versteht«, sagte Juda. »Ihr müsst ihm nur folgen.«
»Bleibt mir eine Wahl?«
»Hat die Maus eine Wahl, wenn zwischen ihr und dem Käse die Katze lauert?«
Es gefiel Raphael nicht, wie eine Möwenfeder auf dem Ozean willenlos den Wogen des Schicksals ausgeliefert zu sein. Wenn aber der Allmächtige – und Juda schloss dies nicht aus –
der Herr
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