Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
Vom Netzwerk:
abendlichen Besucher.
    »Auch Euch einen Gruß«, sagte Raphael. »Mein Name ist Raphael. Ich bin auf Pilgerfahrt und kam zufällig in dieses gastliche Dorf.«
    »Dann kommt näher und ruht Euch bei mir aus«, sagte der Alte. Er deutete auf die Bank. »Man nennt mich Lazare.«
    Dankend nahm Raphael Platz. Der Knabe beachtete ihn nicht. Er spielte still mit den Figuren.
    »Gebt Acht!«, sagte Lazare. »Tretet nicht auf Philippes Pfoten.«
    Raphael nickte. »Ihr gebt einem Hund den Namen des Königs?«
    Lazare hüstelte. »Er ist genauso gefräßig und faul. Erfreulicherweise findet dieser Philippe wenig Gefallen an Salz.«
    Raphael fiel die unbeliebte Salzsteuer ein, die Philippe VI. zur Finanzierung des Krieges gegen die Engländer eingeführt hatte, und er musste schallend lachen. »Ihr habt einen erfrischenden Humor, Lazare.«
    »Apropos erfrischend«, sagte Lazare und stand auf. »Ich habe ein Fass Dünnbier im Haus. Ihr seid sicher durstig.«
    »Für einen Krug Bier wäre ich Euch dankbar«, sagte Raphael. Als Lazare im Haus verschwunden war, wandte sich Raphael dem Knaben zu. »Wie heißt du, mein Sohn?«
    »Noé«, antwortete der Junge. Sein goldfarbenes, kurz geschnittenes Haar bewegte sich leicht in der Abendbrise.
    »Ein schöner Name«, sagte Raphael. »Wie alt bist du?«
    »Sieben«, war die knappe Antwort.
    Verdutzt zog Raphael die Brauen hoch. Vielleicht konnte Noé ja noch nicht zählen. Denn wie ein Siebenjähriger sah er gewiss nicht aus. Dazu war er viel zu klein und kümmerlich.
    »Wundert Euch nicht«, sagte Lazare, der gerade mit zwei Krügen zurückkam. Einen davon gab er Raphael. Dann nahm er wieder seinen Platz auf der Bank ein. »Noé war schon immer schmaler und schwächlicher als andere Knaben in seinem Alter.«
    »Seid Ihr der Vater?«, fragte Raphael.
    »Nein«, antwortete Lazare. »Er ist der Sohn meines Sohnes. Seine Familie lebte in Montpellier. Als dort das große Sterben begann, holten mein Weib und ich den Knaben zu uns. Erst erkrankte mein Sohn, dann seine Frau. Mein Weib kehrte nach Montpellier zurück, um die beiden zu pflegen. Nun liegen sie alle drei in der verfluchten Stadt begraben.«
    »Ich komme soeben aus Montpellier«, sagte Raphael. »Tausende haben das Schicksal Eurer Familie geteilt. Der schwarze Tod hat ganze Viertel entvölkert. Und nicht nur in Montpellier. Alle Städte und Dörfer, durch die ich gezogen bin, hält die Pest in ihrem Todesgriff gefangen.«
    »Ich habe davon gehört«, sagte Lazare. Er prostete Raphael zu und trank in großen Zügen. Dann rülpste er kräftig. »Wohin pilgert Ihr, Raphael?«
    »Nach Santiago de Compostela«, antwortete Raphael. Es behagte ihm nicht, diesen guten Mann anzulügen. Er hielt es aber für das Beste, seine Tarnung aufrechtzuerhalten. Was Lazare nicht wusste, konnte ihm nicht zur Gefahr werden. »Zum Grab des heiligen Jakobus.«
    Anerkennend pfiff Lazare durch die Zähne. »Ihr seid noch fern vom Jakobsweg. Und Ihr reist allein?«
    »Allein und auf eigenen Füßen.«
    »Dann will ich mich um eine gute Mahlzeit für Euch kümmern«, sagte Lazare und stand auf.
    Gerade wollte Raphael dankend ablehnen, da sprang Philippe unter der Bank hervor, rannte um das Haus herum und bellte laut.
    Lazare lief hinterher, dicht gefolgt von Raphael. »Was hat der Hund?«
    »Philippe wittert Gefahren schon aus großer Entfernung«, sagte Lazare. »Irgendetwas kommt auf uns zu.«
    »Was?«
    »Das weiß ich nicht.« Lazare ging zurück ins Haus und kehrte mit zwei schweren Äxten zurück. Eine gab er seinem Gast.
    »Was soll ich damit?«, fragte Raphael.
    »Euch verteidigen.«
    »Ich verstehe nicht.«
    Lazare zeigte in die Richtung, in die Philippe unentwegt bellte. »Was auch immer sich da nähert – es ist nichts Gutes.«
    »Woher wollt Ihr das wissen?«, fragte Raphael.
    Lazare zeigte auf den Hund. » Er weiß es.«
    Jetzt mischte sich ferner Donner in das Rauschen des Windes. Raphael erkannte es sofort: Hufgetrappel. »Ich bin kein Kämpfer«, sagte er mit zitternder Stimme.
    »Ihr könnt eine Axt halten. Also könnt Ihr auch kämpfen.«
    Angestrengt blickte Raphael über das Feld, auf dem die Ähren kinnhoch standen. Noch war nichts und niemand zu sehen, aber das Trampeln unzähliger Hufe rückte unaufhaltsam näher.
    Plötzlich tauchten Reiter am Horizont auf. Zuerst nur ihre behelmten Köpfe, dann die glänzenden Rüstungen, schließlich die mächtigen Schlachtrösser. Trotz der einbrechenden Dunkelheit genügte Raphael ein Blick, um zu

Weitere Kostenlose Bücher