Hexengift
Genevieve mich genauso hasst wie ihr größter Feind es tut. Anscheinend ist sogar der Feind meines Feindes mein Feind.«
»Du könntest einen Liebestrank brauen, und alle würden dir zu Füßen liegen.«
»Die wirken nur kurze Zeit, und die Wirkung wird immer schwächer, je öfter man sie anwendet. Außerdem finde
ich es zum Kotzen, jemandes Gedanken und Gefühle auf diese Art zu manipulieren. Es ist unmoralisch.«
Joshua kicherte. »Du findest mich unmoralisch.«
»Du hast dir nicht ausgesucht, das zu sein, was du bist, Joshua. Du hast nicht eines Tages den Beschluss gefasst, Menschen zu kontrollieren, und dir dann einen Zauber ausgedacht, mit dem du dein Ziel erreichst. Mit einem Hammer kann man eine Hütte bauen, oder man kann damit jemandem den Schädel einschlagen. Mit deiner Gabe ist es genauso. Es kommt darauf an, was man damit macht. Und soweit ich das bisher beurteilen kann, bist du eher ein Engel als ein Teufel.«
»Naja, ganz selbstlos bin ich nicht. Ich bin es gewöhnt, zu bekommen, was ich will.«
»Natürlich. Aber du erreichst deine Ziele nicht auf Kosten anderer.«
»Ich hatte nie das Gefühl, dass meine Gabe mir das Recht gibt, anderen gegenüber grausam zu sein. Aber ich weiß, was du meinst. Wahrscheinlich ist es besser, wenn du so weitermachst wie bisher.«
»Von vielen gefürchtet, von manchen gehasst, von wenigen geliebt.«
»Es wird schon werden«, sagte Joshua und beugte sich näher an sie heran, küsste ihre Wange, ihr Kinn, ihre Nase und schließlich ihre Lippen. Er sah ihr in die Augen, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. »Schließlich hast du mich. Bringen wir dich nachhause und ruhen uns ein wenig aus. Morgen ist der große Tag, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Marla. »Ich möchte, dass du morgen dabei bist. Wir haben Betäubungsgewehre und dergleichen, aber die
beste Methode, Genevieve zu kriegen, wäre wahrscheinlich, wenn du einfach zu ihr sagst‚ ›Komm mit, Süße‹, verstehst du?«
»Klar. Soll ich den Wagen holen?«
»Ich fürchte, ich bin zu fertig, um mich heute nochmal vor die Tür zu bewegen. Wahrscheinlich ist es sowieso besser, wenn ich heute Nacht hierbleibe, für den Fall, dass Langford morgen früher anruft als erwartet. Man kann die Couch zu einem Bett aufklappen. Sie ist zwar nicht besonders bequem - fühlt sich ein bisschen an, als würde man sich in eine eiserne Jungfrau legen -, aber für eine Nacht müsste es gehen.«
»Solange du neben mir liegst«, erwiderte Joshua und stand auf, um ihr beim Auseinanderklappen zu helfen.
Zealand schleppte sich in die Bibliothek. Er war vollkommen erschöpft und hatte Schmerzen, wusste, dass er ohne das Moos, seinen magischen Verband, bei jeder Bewegung aus Dutzenden Wunden bluten würde. Austen hielt ihm die Tür auf, deutete auf einen Sessel und goss ihm ein Glas Wasser ein.
»Das war der bizarrste Kampf, in den ich je verwickelt war«, sagte Zealand und ließ sich dankbar in den Sessel fallen. Er wusste selbst nicht, was er erwartet hatte, aber auf etwas derart real Surreales war er nicht vorbereitet gewesen. Reaves Turm war mit seinen wehenden schwarzen Bannern am Horizont aufgetaucht und bewegte sich über das Wolkenmeer auf sie zu wie ein Piratenschiff. Er und Genevieve standen auf dem höchsten Balkon ihres Turmes, und Zealand sah, wie sie die Augen schloss und ihre Truppen formierte - Menschen und andere Kreaturen erschienen auf
der ganzen Länge der Palastmauer und auf den Balkonen, ihre Waffen im Anschlag. Genevieves Armee war ein bizarrer Mischmasch aus Versatzstücken der Populärkultur und surrealer Malerei. Zealand erkannte wohlvertraute Superhelden in ihren Anzügen, auf einem der Balkone stand ein Bogenschütze, der Errol Flynn in seiner Rolle als Robin Hood verdammt ähnlich sah, auf der Brüstung hockte die Katze aus Alice im Wunderland, groß wie ein Tiger und mit einem Grinsen wie eine Sense, irgendwo galoppierte ein Hengst mit flammenden Hufen, ein drei Meter großer St. John Austen in einer schimmernden Rüstung marschierte auf, Engel ritten auf Riesenheuschrecken, und allerlei andere Geschöpfe aus Genevieves Unterbewusstsein tummelten sich auf dem zukünftigen Schlachtfeld. Jedes einzelne dieser Wesen hatte sie als ihren Helden und Beschützer erschaffen. Die Angreifer auf Reaves Seite, die hektisch auf der Brüstung herumrannten und ihre Enterhaken auf Genevieves Balkone schleuderten, waren nicht weniger bizarr: Horden von im wahrsten Sinne des Wortes gesichtslosen
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