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Hexengift

Titel: Hexengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Pratt
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bis zu den Knöcheln in die Bucht hinauswatete. Die Straßenlaternen hinter ihnen auf dem Hügel gaben gerade genug Licht, dass man noch etwas erkennen konnte, und Marla hatte ohnehin ihre Nachtsichtaugen, die das Streulicht verstärkten, sodass sie fast ebenso gut sehen konnte wie bei Tage.
    »Ich finde es wunderbar«, sagte Ernesto. »Wir scheißen uns viel zu sehr in die Hosen, um auch ja auf der sicheren Seite zu sein. Ich bin nicht Magier geworden, um ständig auf der Hut zu sein. Lasst uns endlich mal ein richtiges Wunder sehen!«
    »Allerdings«, sagte Marla. Sie öffnete das Reagenzglas, legte ihre Fingerspitze über die Öffnung und drehte es um. Dann richtete sie es wieder auf und hob ihren Finger, auf dem jetzt ein kleiner, roter Bluttropfen schimmerte. Mit ihrer freien Hand stöpselte sie das Reagenzglas unbeholfen wieder zu und steckte es in ihre Tasche. »Seid ihr bereit?«
    Sie hörte ein angespanntes »Ja«. Zealand machte sich bereit, das Wesen, das sich jeden Moment aus den Wellen erheben würde, mit seinen Ranken zu fesseln und am Boden zu halten. Marla hoffte nur, dass es Flügel haben und groß genug sein würde, sie alle drei zu tragen. Ernesto hielt
ein Knäuel aus Gurten und kleinen Metallkästchen bereit - Langfords Gehirnkontrollgerät oder das magische Zaumzeug, wie Marla es genannt hatte. Eigentlich war es auch kein Gehirnkontrollgerät - Gehirne sind etwas ungeheuer Kompliziertes -, sondern eher so etwas wie eine Fernbedienung. Mit ihr konnte Marla die Kreatur bewegen wie ihren eigenen Körper, was mit Sicherheit eine ziemlich seltsame Erfahrung werden dürfte. Aber viele Aspekte ihres Jobs waren ziemlich seltsam.
    »Also dann«, sagte sie, beugte sich vornüber und tauchte ihre Fingerspitze in das kalte Meerwasser. Das Wasser begann sofort zu schäumen, und Marla watete eilends wieder zurück an den Strand, um nicht - auf welche Weise auch immer - in die kurz bevorstehende Geburt eines Halbgottes mit hineingezogen zu werden.
    Es dauerte erstaunlich lange. Marla hatte sich immer vorgestellt, dass Pegasus sofort in voller Pracht aus dem Meer gesprungen war. Aber das geschah nicht. Zu dritt standen sie an dem verschneiten Strand und sahen dabei zu, wie das Wasser minutenlang blubberte und zuckte. Zwei Minuten, drei, dann vier. Schließlich kam etwas an die Wasseroberfläche, durchstieß sie wie eine Fruchtblase. »Zealand, jetzt!«, schrie Marla, und seine Ranken schossen durch die Luft, klatschten aufs Wasser und wickelten sich um die aus den Wellen geborene Kreatur.
    Zealand ächzte und stemmte die Beine mit aller Kraft in den Sand. »Es ist verdammt stark!« Marla griff sich das Hightechzaumzeug und hastete zurück ins Wasser. Das Geschöpf war riesig, größer als ein Pferd und weiß wie Salz. Es hatte sogar Flügel, aber welcher Art und wie viele, war
bei dem Flattern und Zucken nicht zu erkennen. Vorne am Kopf befand sich ein mächtiger Schnabel. War es etwa ein Greif? Sofort fuhr der Schnabel auf sie herunter, und Marla pendelte seitlich weg und schlang blitzschnell beide Arme um den Hals des Tiers. Die Kreatur riss ihren Kopf wieder nach oben und hob Marla fast um eine ganze Körperlänge aus dem Wasser, nur um sie dann wieder nach unten in die Wellen zu schleudern, aber Marla ließ nicht locker. Zealand schlang eine weitere Ranke um den Kopf des Tieres, um ihn etwas ruhiger zu halten, dann zurrte Marla den Lederriemen um den mächtigen Hals und schaffte es sogar, die Kandare in den Schnabel des Geschöpfes zu bugsieren, ohne dabei einen Finger zu verlieren. Sobald alles an seinem Platz war, ergriff Marla die mit Silberdraht umwickelten Zügel.
    Ein Gefühl wie ein Stromschlag durchzuckte ihren Körper, und sie fühlte sich, als hätte sie eine Hand voll zusätzlicher Gliedmaßen verpasst bekommen. »Brr!«, machte sie, kletterte auf den Rücken des Tiers - was sich gleichzeitig anfühlte, als klettere sie auf ihren eigenen Rücken - und suchte auf dem fedrigen Hals zwischen Kopf und Flügelansatz nach Halt für ihre Beine. Als Zealand sah, wie Marla im Reitersitz auf dem Tier saß, ließ er seine Ranken los. Marla ließ es im Schritt an den Strand gehen. Sie sah alles doppelt - durch ihre eigenen Augen und durch die ihres Reittieres, und sie spürte das Knirschen des Sandes unter ihren … Hufen? Aber ein Löwe hatte keine Hufe. Auf was für einer Art von Fabelwesen saß sie da eigentlich?
    »Es ist weiß, es hat den Körper eines Stiers und den Kopf einer Möwe«, sagte Ernesto,

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