Hexengift
war’s dann also« sagte St. John traurig. »Sie dachte, Sie wären eine Heldin und könnten ihr vielleicht helfen. Aber jetzt hat sie Angst vor Ihnen. Ich spüre bis hierher, wie
sich ihre Angst von den oberen Gemächern ausbreitet. Jetzt bleibt nur noch der grüne Ritter, um sie zu beschützen.«
»Der grüne … was?«, fragte Marla. »Wovon zum Teufel reden Sie?«
»Auf Wiedersehen, Marla Mason. Und viel Glück.« Er verschwand, und das Glas Brandy, das er soeben noch in der Hand gehalten hatte, fiel einfach zu Boden.
»Das lief ja nicht besonders gut«, meinte Marla. »Wenn Joshua doch nur dabei gewesen wäre, er hätte die Wogen sicher ein wenig glätten können. Nun denn, ich würde mal sagen, wir setzen unsere Bemühungen fort, weiter nach oben zu kommen …«
»Sie würden sie tatsächlich umbringen?«, fragte Ted. »Nach allem, was sie durchgemacht hat?«
»Es wäre mir nicht gerade die liebste Lösung, verdammt, aber wenn es keine andere Alternative gibt … Wäre es Ihnen vielleicht lieber, wenn ich tatenlos dabei zusehe, wie dieser Reave mitten in meiner Stadt seine Zelte aufschlägt? Er nennt sich der König der Albträume ! Glauben Sie, er wäre die Art Administration, die Felport braucht?«
Ted schüttelte den Kopf. »Es wäre nicht richtig.«
»Bei meinem Job geht es nicht um ›richtig‹ oder ›falsch‹, sondern um ›notwendig‹ und ›unvermeidbar‹, Ted. Und jetzt kommen Sie …«
Der Turm neigte sich zur Seite, und das ziemlich stark. Der Boden unter ihnen wurde zu einer steil abfallenden Rampe, und sie rutschten auf den Durchgang und den dahinterliegenden Balkon zu. Der Innenhof war jedoch unterdessen verschwunden - vor sich sahen sie nichts als Wolken und weiten, blauen Himmel. Ted und Marla krachten gegen
die niedrige Balkonbrüstung, doch der Turm neigte sich immer noch weiter - sie drohten, über die Brüstung zu fallen. Marla packte mit der einen Hand Teds Handgelenk, mit der anderen hielt sie sich am Geländer fest, und schon im nächsten Augenblick baumelten sie freischwebend am Geländer, unter ihnen nur noch Wolken.
Das Gebäude schüttelte sich wie eine Chipstüte, deren Besitzer versucht, auch noch an die letzten Krümel heranzukommen, und Marla konnte sich nicht mehr halten. Sie fiel, Ted schrie, dann konnte sie auch ihn nicht mehr festhalten, und sie tauchten in die Wolkendecke ein. Marla stimmte wieder ihren Schmähgesang auf die Gravitation an, aber die Wirkung blieb aus - in Genevieves Welt bestimmte offensichtlich sie die Regeln.
Marlas vorletzter Gedanke galt Joshua, seinem wunderschönen Gesicht, das sie nie wieder sehen würde. Aber ihre letzten Gedanken drehten sich um ihre Stadt, um Felports Gedeih und Verderb, wenn von Marla nach dem Aufprall nur mehr ein paar rote Spritzer geblieben waren.
12
Als Zealand von seinem Buch aufsah, war er nicht mehr in seinem Zimmer. Er befand sich jetzt in einer Bibliothek, neben ihm stand ein Tisch mit einer Flasche Brandy darauf. »Magier«, murmelte er nur und widmete sich wieder seiner Lektüre. Wahrscheinlich steckte Nicolette dahinter oder Gregor oder Genevieve, irgendjemand , aber er würde diesem Jemand nicht die Befriedigung geben, sich auch nur die geringste Verunsicherung anmerken zu lassen.
»Mr., ähm, Zealand? Mein Name ist St. John Austen, ich arbeite für Genevieve Kelley.«
Zealand klappte sein Buch zu und legte es auf den Tisch. »Ich brauche das wieder, sortieren Sie es also bitte nicht zu den anderen Bänden in den Regalen ein, in Ordnung?« Er stand auf und kratzte den grünen Fleck auf seinem Handrücken. »Genevieve will mich sprechen, nehme ich an?«
»Ja«, sagte St. John, anscheinend erleichtert. »Kommen Sie mit.« Er geleitete Zealand hinaus aus der Bibliothek in einen Flur, an dessen Wänden Fotografien in verstaubten Bilderrahmen
hingen. Zealand blieb stehen und betrachtete sie näher: Auf allen war dasselbe Mädchen zu sehen, in verschiedenen Altersstufen, wahrscheinlich Genevieve. Eines zeigte sie im Teenageralter, wie sie stolz ein Backblech voller Cookies in beiden Händen hielt. Zealand beugte sich näher heran, ging aber sofort wieder einen Schritt zurück, als ihm der Duft von Schokolade in die Nase stieg.
»Das sind glückliche Momente aus ihrer Vergangenheit«, sagte Austen. »Festgehalten auf diesen Wänden, damit sie sich dorthin zurückziehen kann, wenn es wieder einmal besonders schlimm ist, wenn der Himmel schwarz wird und Monster auf den Winden reiten und
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