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Hexengift

Titel: Hexengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Pratt
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der zu einer Bibliothek mit wandhohen, dunklen Regalen führte, die sich unter der Last der alten, staubigen Schinken bogen. Im Schein einer Messinglampe stand ein riesiger, weich gepolsterter Sessel, daneben ein kleines Tischchen mit einer Flasche Brandy darauf.
    »Ich könnte einen Drink vertragen«, meinte Ted.
    »Sie sollten hier weder etwas essen noch trinken«, sagte Marla. »Die oberste Grundregel für Reisen in Traumländer, Feenreiche, die Unterwelt und vergleichbare Orte. Essen und Getränke können dort genauso unvorhersehbare wie schreckliche Konsequenzen haben. Außerdem sind wir im Moment noch Einbrecher, keine Gäste, also sollten wir lieber erst mal keine Gastfreundschaft erwarten. In der normalen Welt gibt es so etwas wie Umgangsformen und Verhaltensregeln,
um ein gesellschaftliches Zusammenspiel zu ermöglichen; an Orten wie diesem dienen Verhaltensregeln hauptsächlich dazu, dass man nicht getötet oder versklavt wird.« Sie ging zu einem großen Tisch in der Mitte des Raums, schlug eines der Bücher auf, die darauf lagen, und stieß einen lauten Pfiff aus, als sie die Handschrift auf der Innenseite sah. »›Eigentum von St. John Austen‹. Das war Genevieves Lehrer. Sie hat sein ganzes Haus verschwinden lassen und es durch einen Orangenhain ersetzt. Aber vielleicht hat sie sein Haus auch nur versetzt und es hierhergebracht, ins Innere ihres Palasts.«
    »Das ist mehr oder weniger korrekt«, sagte eine kultivierte Stimme. Marla fuhr herum, ihren Amtsdolch bereits in der Hand, da sie eigentlich erwartete, gleich dem glatzköpfigen Mann mit seinen Messern gegenüberzustehen. Stattdessen sah sie einen dünnen, älteren Mann mit grauem, zu einem Pferdeschwanz gebundenem Haar, der sie aus dem Lehnsessel heraus musterte.
    »Wer zum Teufel sind Sie?«
    »St. John Austen. Mehr oder weniger zumindest.« Er goss sich ein Glas Brandy ein und nippte daran, ohne Marla aus den Augen zu lassen. »Danke, dass Sie gekommen sind. Genevieve wartet oben auf Sie. Sie wäre ja gerne selbst heruntergekommen, aber hier auf diesen Stockwerken lauern … schlechte Erinnerungen. In den oberen Stockwerken fühlt sie sich einfach wohler.«
    »Sie sind also nicht gestorben?«, fragte Marla. »Seit all den Jahren leben Sie … hier, in ihrer Traumwelt?«
    »Aber nein, ich bin gestorben. Verhungert, hier. Es gibt nichts zu essen in dieser Bibliothek, nur diese sich ständig
selbst erneuernde Flasche Brandy. Meine Knochen sind überall in diesem Raum verstreut, hinter den Büchern, oben auf den Regalen. Genevieve macht sich Vorwürfe, dass sie mich getötet hat, aber sie konnte nichts dagegen tun. Sie schlief, während ich verschied.« Er zuckte mit den Achseln. »Aber niemand, den Genevieve gut kennt, stirbt wirklich. Wir dringen in ihren Geist ein, und sie bekommt uns nicht wieder heraus. Wir stecken dort fest wie Granatsplitter aus dem Krieg. Und wegen der Kräfte, die sie besitzt, erlangen wir ab und zu … eine Gestalt. Die meisten von uns unterliegen jedoch einigen Beschränkungen. Ich kann mich an einiges aus meinem Leben erinnern und bin nahezu im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte - das heißt, soweit ich das beurteilen kann -, aber ich existiere nur gelegentlich und kann den Palast nicht verlassen. Wenn Genevieve nicht gerade besonders intensiv an mich denkt, kann ich mich nicht einmal aus diesem Raum hinausbewegen. Letztendlich bin ich nur ein Traum, den Genevieve manchmal träumt. Reave hingegen …«
    Marla setzte sich auf die Kante des Mahagonitisches. »Schreiben Sie mit, Ted.« Er zog seinen PDA heraus. »Reave. Er war derjenige, der sie überfallen hat, der sie in den Wahnsinn trieb, richtig?«
    »Nicht ganz. Der Mann, der sie damals überfiel, heißt Terrence Reeves. Es war … eine furchtbare Erfahrung.« Er schauderte kaum merklich. »Genevieve ist äußerst sensibel, und ihre Gabe funktioniert in beide Richtungen - sie dringt in die Köpfe der Leute ein, aber sie dringen auch in ihren ein. Während Terrence sie vergewaltigte, erfuhr sie seinen Namen, musste seine Emotionen mitfühlen, sogar seine
körperlichen Empfindungen. Sie verlor das Bewusstsein für ihr eigenes Selbst, die Grenze zwischen Angreifer und Opfer verwischte, und diese Erfahrung war so intensiv und so schrecklich, dass sie nicht mehr auslöschbare Spuren bei ihr hinterließ. Eine Version von Terrence blieb in ihrem Geist haften. Aber nicht nur das: Er begann dort zu wachsen, er, der Urheber ihres schlimmsten Traumas, die Quelle ihrer

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