Hexengift
zuckte mit den Achseln. »Ich schätze, es bedeutet, dass wir noch viel weiter weg sind als auf dem Mond. Ich sollte meinen, wir sind hier in Genevieve-Land. In ihrem Traumland. Ich hoffe, sie ist hier, und ich kann mit ihr reden, sie beruhigen und sie davon überzeugen, mit mir nach
Blackwing zu kommen, um diesem ganzen Wahnsinn endlich ein Ende zu setzen.«
»Denken Sie, das funktioniert?«
»Keine Ahnung. Sie war nicht allzu klar im Kopf, als ich sie zum letzten Mal gesprochen habe. Vielleicht ist das hier ja anders, in ihrem Schloss. Wir werden sehen. Ich wünschte, Joshua wäre dabei. Er ist gut, wenn es darum geht, mit Leuten zu reden.«
Ted stöhnte. »Wo ist hier eigentlich die Treppe?«
Marla entdeckte einen weiteren Durchgang hinter einer Reihe glatt polierter Säulen; in Ermangelung anderer Möglichkeiten würde sie also erst einmal damit vorliebnehmen. »Kommen Sie.« Sie gingen durch den kurzen Gang hinaus auf einen Innenhof voller Orangenbäume. Der Geruch der Früchte schlug ihnen stark entgegen und ging Marla irgendwie ans Herz. Die Mauern des Innenhofs ragten über ihnen auf, bis sie sich am Fluchtpunkt trafen, und bis auf ein paar Fenster mit kleinen Balkonen davor waren sie vollkommen glatt. Marla seufzte. »Wissen Sie noch, wie wir heute Morgen über die Stadt geflogen sind, Ted? Das war ziemlich cool, oder?«
»Das war es.« Ted sah besorgt aus.
»Nun, das war nur ein Schwindel, eine Illusion. Jetzt werden wir wirklich fliegen müssen. Ich mache das nicht allzu oft, weil ich meistens danach kotzen muss, und wenn ich einen Passagier dabeihabe, wird das die Sache nicht gerade erleichtern. Und es geht auch nicht ganz so reibungslos vonstatten, wie Sie das aus dem Kino kennen. Die Physik mag es nicht, wenn man sich von den Fesseln der Schwerkraft losreißt, und mir macht es auch keinen besonderen Spaß. Aber
vielleicht sind die Naturgesetze hier ja … ein bisschen weniger streng. Das hoffe ich zumindest. Also, halten Sie sich fest.«
»Soll ich … einfach Ihre Hand nehmen, oder …?«
»Wir sind hier nicht bei Peter Pan . Sie müssen schon mehr tun, als mit mir Händchen zu halten. Ich werde gleich mit ziemlicher Beschleunigung hinauf in die Luft schießen, und wenn Sie sich nicht so gut festhalten, wie Sie nur können, werden Sie abrutschen und als roter Fleck auf dem Boden enden. Ich fliege aber nicht gleich bis ganz nach oben, nur bis zu diesem Balkon hier.« Sie deutete auf einen kleinen Mauervorsprung etwa zwanzig Meter über ihnen. »Wir wollen mal hoffen, dass uns von dort eine Treppe weiter nach oben bringt oder wir wenigstens so etwas wie eine verdammte Sprechanlage finden.«
Ted näherte sich ihr unsicher von hinten und schlang die Arme um Marlas Hüfte. Sie wünschte sich, sie hätte ein Seil dabei und einen Enterhaken, aber sie hatte schließlich nicht damit gerechnet, eine Burg erstürmen zu müssen. »Gut festhalten.« Marla ging in die Knie, schloss die Augen und flüsterte einen kleinen Ausschnitt aus einer Beschwörungsformel, die - so hatte man ihr gesagt - in der flötenartigen Sprache, derer sich die elementaren Naturgewalten bedienten, einem ziemlich krassen Schmähgesang auf die Gravitation gleichkam. Wie jedes Mal erhob sie sich nicht vom Untergrund, sie wurde geworfen . Ted schnappte nach Luft und krallte sich wie im Todeskampf an ihr fest, sodass sich seine Finger oberhalb ihrer Hüftknochen in ihr Fleisch gruben. Marla biss vor Schmerzen die Zähne zusammen und versuchte, ihren Flug wenigstens ein Stück weit zu kontrollieren.
Ihre Bahn beschrieb eine scharfe Rechtskurve, und um ein Haar wären sie frontal gegen den Balkon geknallt, auf den sie gezielt hatte. Marla erwischte gerade noch das Geländer und hielt sich mit beiden Händen daran fest. Dann spürte sie, wie ihre Beine weiter nach oben gezogen wurden wie ein mit Gas gefüllter Luftballon. Ted krabbelte unterdessen hastig halb über sie, halb um sie herum und ließ sich hinter dem Geländer auf den Balkon fallen. Dann leistete Marla die rituelle Abbitte, auf dass die Schwerkraft sie wieder in ihren Schoß nehmen möge. Sofort krachte sie mit voller Wucht von oben gegen das Geländer, das ihr einen empfindlichen Schlag auf die Rippen gerade unterhalb ihrer Brüste versetzte; das würde eine saftige Prellung geben. Marla stöhnte, während Ted sie zu sich auf den Balkon zog. »Sehen Sie? Diese Superman-Geschichten sind die reine Verarschung.« Von dem Balkon aus gelangten sie dann in einen weiteren Korridor,
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