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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Zeichen und Symbole, die gewundenen Wege und die fein säuberlich notierten Ortsnamen. Innsbruck? Neugierig sah sie genauer hin. Nein, sie hatte sich nicht getäuscht. Innsbruck stand tatsächlich gut leserlich neben einigen zaghaft angedeuteten Häusern. Hall und Schwaz fanden sich östlich der Siedlung, westlich davon war das Kühtai vermerkt, im Süden schließlich lag Matrei am Brenner. Carlotta stutzte. Das war doch Vaters Karte für Tirol! Nein, beruhigte sie sich. Gewiss hatte er sie nicht versehentlich liegen lassen. Karten waren zwar sehr teuer, dennoch besaß er sicher eine zweite, die er auf Reisen mit sich führte. Diese hier diente lediglich der Sicherheit, stets eine der wichtigen Karten griffbereit im Kontor zu haben.
    Als sie den Kopf hob, traf sich ihr Blick mit dem der Mutter. Sie ahnte, dass diese wohl ebenfalls gerade über die liegen gelassene Tiroler Landkarte nachdachte. Noch bevor sie etwas sagen konnte, öffnete sich die Dielentür, und Adelaide stürzte ins Kontor.
    Mit ihr wehte frostige Winterluft herein. Reste von Schnee hingen auf ihrem Schultertuch, auch der Mantel und die Schuhe waren durchnässt. Selbst der Rocksaum zeigte deutliche Spuren von Nässe und Schmutz.
    »Du warst unterwegs? Bei dem Wetter?«, fragte Magdalena.
    »Warte nur, gleich wirst du froh darüber sein.« Adelaide klopfte sich den Schnee von den Mantelschultern, so dass die Flocken munter durch die Luft stoben. »Du wirst kaum glauben, was ich soeben erfahren habe.« Sie nahm die schwarze Spitzenschnebbe vom Kopf und zupfte an ihrem Haar, als wollte sie die Schneeflocken einzeln herausziehen. Mechthild huschte herein und versuchte, Adelaide Mantel und Tuch abzunehmen. Diese beachtete sie nicht, sondern lud ihr die nasse Kleidung einfach auf den Arm. Der Schwung, mit dem sie das tat, und das Gewicht der nassen Kleidung drohten das zierliche Wesen umzuwerfen. Mitleidig eilte Carlotta ihr zu Hilfe. Voller Scham über das eigene Unvermögen eilte Mechthild aus dem Kontor.
    Unterdessen stemmte Adelaide die Hände in die Hüften und baute sich mitten im Kontor auf. »Ein gewisser Griesebeck hat mir aufgelauert, einer von Feuchtgrubers Kontoristen. Ein widerlicher Mensch. Wie ich diese Art von Leuten hasse! Kriecherisch und unberechenbar, stets auf den eigenen Vorteil bedacht. Vinzent wird seinen Grund gehabt haben, ihnen zeit seines Lebens aus dem Weg zu gehen. Ob wir wüssten, dass Eric und seine Gefährten morgen in Gießen einträfen, fragt dieser katzbuckelnde Kerl mich mitten auf der Straße und versperrt mir den Weg. ›Gießen?‹, frage ich erstaunt. ›Warum um Himmels willen sollten sie morgen in Gießen sein, wenn sie doch nach Italien wollen?‹ Und was, denkt ihr, gibt der nichtsnutzige Kerl mir daraufhin zur Antwort?«
    Carlotta verfolgte jede Regung ihrer Tante. Es faszinierte sie, wie es ihr gelang, selbst aus der nichtigsten Bemerkung eine überwältigende Nachricht zu machen. Nach kürzester Zeit hingen alle wie gebannt an ihren Lippen, ganz gleich, ob sie Suppenrezepte zum Besten gab oder den neuesten Klatsch vom Römer ausbreitete. Inzwischen stand sie dicht vor Magdalena und sah von oben auf sie herunter. Sie wirkten wie Mutter und Tochter, reichte Magdalena ihr doch kaum bis zum Kinn. Auch der einfachen Kleidung und der offenen roten Locken wegen hatte Magdalena neben der schwarz gekleideten Adelaide etwas von einem unbeholfenen Mädchen.
    Magdalena zuckte indes mit den Schultern. »Mir ist nicht so ganz klar, worauf du hinauswillst.« Aus den Augenwinkeln bemerkte Carlotta, dass auch Mathias seine Arbeit unterbrochen hatte.
    »Ebenso ist es mir mit diesem Griesebeck ergangen. Ich begriff nicht im Geringsten, was er mir damit sagen wollte.« Adelaide genoss die Beachtung, die ihr zuteilwurde. Wie mädchenhaft schlank sie trotz ihres Alters noch war! Carlotta zollte ihr insgeheim Respekt dafür. In jedem Kleid machte sie eine hervorragende Figur, doch gerade die Trauerkleidung ließ sie besonders gut aussehen. Geschickt steckte sie zwei Haarsträhnen mit Nadeln über der Schläfe fest, schon saß die vorhin noch vom Wind zersauste Frisur wieder tadellos.
    Erst als Magdalena sich räusperte, sprach sie endlich weiter. »Richtig in die Brust geworfen hat sich dieser abscheuliche Mensch auf meine Nachfrage hin und verkündete lauthals, so dass sämtliche Herrschaften um uns herum es mit anhören konnten: ›Wieso sollten sie nach Italien wollen? Für eine Reise nach Süden hätte mein Patron sich wohl

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