Hexengold
der Tür und verstaute sie. »Zurück an die Arbeit!« Auffordernd klatschte sie in die Hände. »Sonst ist der Tag vorbei.«
Bald war die von Adelaide verursachte Aufregung verflogen. Mathias beugte sich wieder über die Bücher am Pult, Magdalena beschäftigte sich mit den Stoffmustern, und Adelaide verträumte den Vormittag am Fenster, während Carlotta gehorsam den großen Tisch aufräumte.
»Was ist denn das?« Gerade hatte sie sich die letzte Karte unter den linken Arm geklemmt, da entdeckte sie einen kleinen Tontiegel. Neugierig besah sie ihn von allen Seiten. »Das ist doch deine Wundersalbe!«
Beschämt dachte sie daran, wie sie selbst den Bestand der kostbaren Salbe mit der heimlichen Entnahme von drei großen Löffeln schmählich gemindert hatte. Bis zu diesem Tag war sie nicht sicher, ob die Mutter ihr den Frevel verziehen hatte und auch Apotheker Petersen seine Komplizenschaft nicht mehr nachtrug.
Bedächtig legte die Mutter die Mappe mit den Seidenmustern beiseite. An ihrem Gesichtsausdruck las Carlotta ab, dass sie bereits wusste, was der Fund bedeutete. Fordernd streckte sie die Hand danach aus. »Gib sie mir bitte, Kind.«
»Sollte Vater die nicht mitnehmen?« Statt der Aufforderung Folge zu leisten, öffnete Carlotta behutsam den Deckel und schnupperte am Tiegel. Wie liebte sie den köstlichen Geruch nach Lorbeer, Wacholder und Weihrauch, gemischt mit dem Duft von Lavendel- und Rosenöl! Gerade in der unheilvollen Stimmung im Kontor tat er gut.
»Ihr wollt euch doch jetzt nicht etwa mit euren Salben und Pasten beschäftigen? Habt ihr nichts Besseres zu tun?« Adelaide zog gereizt die Stirn in Falten. Beistand suchend sah sie zu Mathias, dessen Aufmerksamkeit noch immer ganz von den Büchern am Pult in Beschlag genommen schien. Dabei entdeckte sie etwas, das ihr offensichtlich ebenfalls nicht gefiel. In wenigen Schritten stand sie am Pult und griff nach dem kleinen Gefäß, das neben dem Tintenfass auf der oberen Kante stand. »Theriak von Doktor Petersen? Wie kommst du denn daran?«
Ihre rechte Augenbraue rutschte steil nach oben, die hohe Stirn lag in hässlichen Falten. Unwillkürlich zog Mathias den dunklen Haarschopf zwischen die Schultern, als erwartete er einen Schlag.
»Diehl hat ihn Eric für die Reise mitgebracht.« Sofort schaltete sich Magdalena ein. »Du weißt, wie viel Diehl von solchen Mitteln hält. Eric hat natürlich darauf verzichtet, es einzustecken. Wozu auch? Längst ist er wieder bei vollen Kräften. Besondere Arzneien braucht er zum Glück keine.«
»Ein Wunder, dass du ihn so ziehen lässt.« Die Haut auf Adelaides Stirn war wieder glatt, dafür kräuselten sich die Lippen, als sie schmunzelnd auf sie hinabsah. »Wo hatte der liebe Eric bei der Abreise nur seine Gedanken? Erst verschmäht er deine viel gerühmte Wundersalbe, dann steckt er auch Diehls Theriak nicht ein, ganz zu schweigen davon, dass er nicht an die Innsbrucker Landkarte denkt. Sieht ganz so aus, als wäre unser guter Eric im Begriff, den Verstand zu verlieren. Warum hast du ihm nicht deinen Bernstein als Schutz aufgenötigt? Vielleicht hätte er dann wenigstens gewusst, wohin die Reise geht, und wir müssten uns nicht mit Griesebeck herumärgern, der die Herrschaften erschreckenderweise heute Abend in Gießen statt irgendwo im Süden wähnt.«
Spott blitzte aus den schwarzen, leicht hervorquellenden Augen, das Einzige, was die Ebenmäßigkeit ihres Gesichts leicht aus dem Gleichgewicht brachte. Doch da war noch etwas anderes, was die vordergründig so beherrschte Mimik kaum verbergen konnte.
Mit ihren dreizehn Jahren war Carlotta einerseits noch ein halbes Kind. Das Aufwachsen im Heerestross, die anschließende Flucht sowie ihre Zeit im Kaufmannskontor hatten ihr Erfahrungen eingebracht, die anderen ein Leben lang erspart blieben. So begriff sie Adelaides Beweggrund zwar nicht sofort, dafür aber war sie sich später umso sicherer: Eifersucht! Nackte Eifersucht auf die Mutter hatte die Tante erfasst, als sie sich über deren Fürsorge dem Vater gegenüber mokierte.
Reglos verharrte Magdalena vor Adelaide. In deren Schatten wirkte sie jünger und unsicherer, als es einer Frau von Mitte dreißig zukam, noch dazu einer, die jahrelang als Wundärztin am Rand der Schlachtfelder gearbeitet hatte. Ihre ohnehin blasse Haut war kalkweiß. Selbst die Sommersprossen auf Nase und Wangen waren nahezu verblasst.
Forschend sah Carlotta zwischen den beiden Frauen hin und her, hätte am liebsten lauthals gegen
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