Hexengold
kaum mit Grohnert zusammengetan. Ans Haff wollen sie, wohin sonst!« Sie legte eine bedeutungsvolle Pause ein, um die Wirkung ihrer Worte zu überprüfen. Beifall heischend sah sie von Magdalena zu Mathias, dann zu Carlotta, schließlich wieder zu Magdalena und setzte nach: »Das heißt nichts anderes, als dass uns einer belügt! Und so, wie es aussieht, ist es wohl leider unser guter Eric. Oder was meint ihr?«
Triumphierend reckte sie die wohlgeformte Nase in die Luft. Der kleine Mund kräuselte sich zu einem winzigen, roten Punkt. Trotz der aufgeregten Worte klang sie höchst zufrieden.
Zunächst herrschte Schweigen. Ein lautes Knacken im Kachelofen neben der Tür verriet, dass jemand von der Diele aus Holz in den gusseisernen Feuerkasten warf. Die Holzscheite mussten feucht sein. Aus den Ofenritzen stieg Dampf, es knisterte und zischte. Als gäbe es nichts Aufregenderes, sahen sie alle vier zu, wie der Rauch allmählich verflog.
»Vater ist kein Lügner, niemals!« Als Erste löste sich Carlotta aus der Starre. »Das kann einfach nicht wahr sein! Mit Verlaub, liebe Tante, aber dieser Griesebeck hält dich zum Narren. Vater ist mit den drei Herren nach Italien unterwegs. Wie geplant werden sie Ende nächster Woche Nürnberg erreichen und sich dort für den gemeinsamen Weg über die Alpen weiteren Kaufleuten anschließen. So schnell als möglich wird uns Vater spätestens von dort eine Nachricht schicken. Dann wird sich zeigen, dass alles seine Richtigkeit hat. Gießen als Station ist einfach absurd. Wozu um Himmels willen sollte er einen zeitraubenden und völlig überflüssigen Umweg über den Norden einschlagen?«
»Es gibt keinen Grund, sich aufzuregen, mein Kind.« Magdalena trat zu ihr und legte ihr den Arm um die Schultern.
»Hat Griesebeck dir dieses angebliche Schreiben aus Gießen gezeigt?«, wandte sie sich an Adelaide.
»Warum sollte er?« Verwirrt sah Adelaide erst sie, dann Mathias an. Reglos verharrte der am Pult und starrte auf das Kachelmuster des Ofenaufsatzes, als gelte es, die blauen Muster nachzuzeichnen. Nichts auf seinem Gesicht ließ darauf schließen, dass er die Unterhaltung mitverfolgte, dennoch war klar, dass ihm keine Silbe entging.
»Griesebeck hat nicht den geringsten Grund, mich anzulügen.« Fast schien es, als wusste Adelaide selbst, wie einfältig das klang.
»Nein, den gibt es nicht, genauso wenig wie Eric einen Grund hat, uns falsche Reiseziele zu nennen.« Der Ton, in dem ihre Mutter das sagte, erschien Carlotta unnatürlich. Viel zu schrill fuhr sie fort: »Was will Eric im Norden, wenn die Waren in Venedig auf ihn warten? Das Problem liegt wohl bei Feuchtgruber. Mir ist gestern schon aufgefallen, dass er reichlich wirr über die Reiseroute gesprochen hat.«
Magdalena stellte sich ans Fenster. Der Wind war kräftiger geworden und blies den Schnee in dichten weißen Wolken von den Dächern. Die wenigen Menschen, die draußen unterwegs waren, schlugen die Mantelkrägen hoch und zogen die Hüte tief ins Gesicht. Sämtliche Geräusche wurden von der weißen Pracht auf der Straße verschluckt. Umso lauter drang einem das Knacken des Feuerholzes an die Ohren. Wohlige Wärme erfüllte den Raum. Magdalena stopfte den gerollten Wollstoff fester gegen die Ritze unterhalb der Fensterrahmen.
»Was kümmert es uns, dass Griesebeck von einem Schreiben aus Gießen schwadroniert?« Ruckartig drehte sie sich um und funkelte Adelaide kampfeslustig an. »Vielleicht erlaubt sich Feuchtgruber nur einen seltsamen Scherz mit seinen Leuten. Soweit ich weiß, neigt er dazu. Oder der Brief stammt noch von einer anderen Reise, und Griesebeck hat etwas durcheinandergebracht, wenn nicht gar Feuchtgruber selbst Dinge und Orte verwechselt hat. Davon abgesehen wäre es nicht das erste Mal, dass ein altes Schreiben viel zu spät seinen Empfänger erreicht. Sobald Eric in Nürnberg ist, wird er uns ein paar Zeilen schicken, die alles aufklären. Bis dahin sollten wir uns keine unnötigen Sorgen machen.«
Sie trat an den Tisch und griff hastig nach der Karte von Tirol. Im selben Moment streckte auch Carlotta die Finger danach aus. Beide stutzten, und Carlotta verstand. So einleuchtend ihre Mutter ihre Erklärung vorgebracht hatte, so ungern wollte sie, dass Tante Adelaide die Karte entdeckte, in der sie eine Bestätigung ihrer Behauptung sehen würde. Carlotta ließ die Karte los. Flink rollte ihre Mutter sie auf und wand mehrfach ein Band herum. Hoch erhobenen Kopfes ging sie zum Regal links neben
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