Hexengold
und sah streng auf ihn herab. Sie genoss es, wie das kleine Männlein nun vor seiner Courage zurückschreckte, nachdem es sich erdreistet hatte, sie aufzuhalten. »Und warum sprecht Ihr mich deswegen an und nicht Grohnerts Gemahlin?«
»Nun, ich will die verehrte Frau Grohnert nicht beunruhigen«, stammelte er unbeholfen und wagte kaum, den Kopf, zu heben. Dann schien er plötzlich Mut zu fassen und fuhr entschlossener fort: »Vielleicht könnt Ihr ohnehin mehr mit Folgendem anfangen. Mir ist zufällig ein Schreiben unseres Hausherrn in die Hände gefallen. Demnach wollen die Herren morgen Abend schon in Gießen eintreffen.«
»In Gießen?« Gegen ihren Willen fuhr sie schrill dazwischen. Dann hatte sie sich gefasst und setzte ruhiger hinzu: »Werft Ihr da nicht etwas durcheinander? Bemüht lieber noch einmal die Landkarten, bevor Ihr solch wirres Zeug erzählt.«
»Nun, so wie es aussieht, handelt es sich nicht um wirres Zeug. Das macht mich eben stutzig. Eigentlich sind die Herrschaften doch nach Süden unterwegs.«
»Genau das meinte ich ja. Nie und nimmer werden sie also morgen in Gießen sein. Wahrscheinlich ist es ein alter Brief aus dem letzten Jahr, den Ihr da gefunden habt. Bevor Ihr die Pferde scheu macht, solltet Ihr lieber genauer hinsehen. Abgesehen davon: Habt Ihr mir hier etwa mitten auf der Straße aufgelauert? Das gehört sich nicht, merkt Euch das.«
Sie wollte den Mann beiseiteschieben. Er stellte sich ihr abermals in den Weg. »Nun, verzeiht mir bitte vielmals, Verehrteste, dass ich Euch den ganzen Vormittag schon folge. Aber ich wusste mir keinen anderen Rat. Es ist besser, nicht im Kontor mit Euch darüber zu besprechen.«
»Warum nicht?« Das unterwürfige Getue des hageren Griesebeck reizte Adelaide. Sie musste sich zusammenreißen, nicht die Beherrschung zu verlieren.
»Nun, so wie es aussieht, hat es seinen Grund, dass die Herren nichts über ihr wahres Reiseziel haben verlauten lassen. Im Vertrauen«, er beugte sich vor und winkte sie näher heran. »Außer mir hat bislang noch niemand in unserem Kontor die Tragweite der Nachricht begriffen. Dabei könnte es von mir aus auch bleiben …«
»Sofern ich Euch Geld oder einen anderen Vorteil verschaffe«, ergänzte Adelaide in scharfem Ton. Verblüfft, dass sie ihn so schnell durchschaut hatte, schwieg er, machte aber keine Anstalten, den Weg freizugeben. Das spornte Adelaide an, den Stachel tiefer ins Fleisch zu bohren. »Nun«, ahmte sie seine Art nach, Sätze zu beginnen, »ich fürchte, mein Lieber, dass ich keinen Grund habe, das wahre Reiseziel der Herren zu verschweigen. Mir ist es einerlei, ob sie nach Norden oder Süden reisen. Am Ende zählt nur, dass die Geschäfte gut gehen, nicht wahr?«
»Von einer Reise nach Norden war aber nie die Rede, verehrte Steinackerin!«, versuchte Griesebeck, seine List zu retten. »Nun, das heißt nichts anderes, als dass das Frische Haff ihr Ziel sein wird. Damit werden sie anderen Kaufmannsgenossen ins Revier pfuschen. Die werden das ganz und gar nicht lustig finden. Weitere Folgen wage ich mir gar nicht erst auszumalen.«
»Schade. Dabei verfügt Ihr doch über eine blühende Vorstellungskraft. Immerhin denkt Ihr bei einer Reise gen Norden gleich ans Frische Haff. Dabei gibt es im Norden noch andere lohnenswerte Ziele für einen Kaufmann. Die Leipziger Ostermesse etwa oder Magdeburg, Erfurt und dergleichen Städte mehr.« Sie legte eine kurze Pause ein. »Oder ist das gar nicht Eurer Phantasie entsprungen, sondern der einfachen Tatsache geschuldet, dass Ihr noch weitere Anhaltspunkte habt? Nur heraus damit! Vielleicht verstehe ich Eure Aufregung dann besser.«
Er richtete den Blick zu Boden und scharrte mit den Stiefelspitzen den Schnee beiseite, bis die darunterliegenden Pflastersteine zum Vorschein kamen.
Fast dauerte sie seine Ungeschicklichkeit. »Gebt es zu, mein lieber Griesebeck, das habt Ihr Euch gerade selbst verdorben. Hättet Ihr doch nur nicht das Frische Haff erwähnt! Ihr habt also weitere Hinweise, nicht wahr? Erzählt mir doch einfach alles.« Versöhnlich hakte sie ihn unter, um ein Stück des Wegs gemeinsam mit ihm zurückzulegen.
Bald wurde offenkundig, dass ihre Menschenkenntnis sie nicht getrogen hatten. Kaum hatten sie die Neue Kräme erreicht, da war sie bereits über sämtliche Einzelheiten der Reisevorbereitungen im Feuchtgruber’schen Kontor im Bilde.
»Nun, eben weil sich der ehrenwerte Kaufmann Grohnert besser im Preußischen auskennt als unser Patron,
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