Hexengold
einer Stunde allein. Erschöpft wischte sie sich über die Stirn. Die Aufregungen des vergangenen Tages hatten sie wahrlich ins Schwitzen gebracht. Gleichzeitig fürchtete sie den Moment, da Ruhe einkehrte und ihr bewusst würde, was im Einzelnen geschehen war.
»Das ist nicht dein Ernst«, entfuhr es Adelaide. Sie stand im Durchgang der beiden Räume, hatte die Hände angriffslustig in die Hüften gestemmt und schnaubte. »Du bildest dir nicht ein, dass ich es länger als eine Nacht hier aushalte!«
»Wo willst du stattdessen hin?« Magdalena trat ans Fenster und sah hinaus. Die Zimmer lagen zur Straße und gaben die Sicht auf das Deutschordenskloster frei. Noch war es draußen ausreichend hell. Einige Frauen verließen das nahe Gotteshaus. Auf dem kleinen Platz vor dem Brückenturm versammelte sich eine Handvoll Gesellen, um den anstehenden Feierabend am Rand des Brunnens zu genießen. Keck scharwenzelten einige Mägde vorbei und taten, als müssten sie noch Wasser holen. Dabei warfen sie den Burschen verstohlene Blicke zu. Eine Frau, die aus der Andacht kam, schimpfte laut: »Dich werde ich lehren, dem Haferkamp schöne Augen zu machen! Reicht es dir nicht, schon als Hure verschrien zu sein?« Zornig packte sie ein Mädchen am Arm und zog sie mit sich fort. Die Burschen am Brunnen lachten schallend, die anderen Mädchen wandten kichernd die Köpfe. Kaum war die Frau mit ihrem Opfer um die nächste Ecke verschwunden, umtänzelten die zurückgebliebenen Mägde bereits wieder enger den Brunnen. Es war das immergleiche Spiel, das Magdalena sowohl aus den Jahren im Tross als auch aus der Zeit in den Winterquartieren kannte.
»Vergiss nicht«, wandte sie sich ihrer Base zu, »wir haben nicht viel Geld. Schlüter und seine Kumpane haben uns nur das Nötigste gelassen. Da wir nicht wissen, wie es weitergeht, müssen wir gut überlegen, wofür wir es ausgeben. Für eine feudale Herberge wie den Roten Mann drüben am Weinmarkt oder den Goldenen Ochsen oben am Liebfrauenberg reicht es gewiss nicht. Sei froh, dass wir uns wenigstens diese zwei Kammern hier leisten können und nicht unterm Dach mit dem Gesinde in der Sammelunterkunft schlafen.«
»Zur Kaufmannsgilde hätten wir gehen sollen. Die sind verpflichtet, uns zu helfen. Wenn sie mir schon nach Vinzents Tod nicht viel Beistand geleistet haben, sind sie spätestens jetzt gefordert. So hätten sie ihr Versäumnis wieder ein wenig gutmachen können.« Adelaide verließ den Posten in der Durchgangstür und inspizierte die Schlafgelegenheiten. Mehrmals klopfte sie auf das Federbett, prüfte die Matratze und rümpfte die Nase. Das leinene Bettzeug war alles andere als blütenweiß und roch weder nach Lavendel noch nach Rosen, wie sie es aus der Fahrgasse gewohnt war. Vielleicht lernte sie jetzt endlich Hedwigs strenges Regiment schätzen, erlaubte Magdalena sich etwas Schadenfreude. Adelaide zuckte mit den Schultern und wischte mit den Fingerspitzen über die hohe Kante des Betthimmels. Anschließend zeigte sie ihr die Fingerkuppe: Sie war grau vor Staub.
»Da die Schuldscheine eindeutig von Eric stammen, hätten die Zunftgenossen nicht viel für uns getan.« Magdalena bemühte sich, wohlwollend zu klingen, obwohl sie Adelaides Unzufriedenheit nicht so recht nachvollziehen konnte. »Mehr, als uns ein, zwei Nächte bei einem der anderen Kaufleute unterzubringen, hätten sie uns bestimmt nicht angeboten. Bevor ich aber als Bittstellerin bei einer der Frauen von Diehl, Imhof oder Feuchtgruber auftauche, nehme ich lieber mit der schlichten Gasthauskammer hier in Sachsenhausen vorlieb. Deinem Sohn übrigens gefällt es hier. Er ist gleich freiwillig hinten bei den Ställen untergekommen.«
»Ich finde es auch nicht schlecht«, warf Carlotta ein. »In Sachsenhausen habe ich noch nie übernachtet.«
»Geh nach unten und schau, ob du in der Küche helfen kannst«, wies Magdalena sie an. »Mir ist lieber, einer von uns wacht darüber, was in den Töpfen landet. Wer weiß, was die uns sonst nachher als Suppe vorsetzen.«
Als Carlotta Anstalten machte, sich zu weigern, warf Magdalena ihr einen drohenden Blick zu. »Schon gut, ich gehe ja schon«, beeilte sich Carlotta zu versichern und machte sich flugs davon.
Kaum war die Tür zu, baute sich Magdalena vor der Base auf. »Du kannst beruhigt sein. Ich habe nicht vor, lange hier zu bleiben. Je eher wir Frankfurt verlassen und je weniger wir anderen davon erzählen, umso lieber ist es mir.«
»Da spricht die alte Trossfrau,
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