Hexengold
von seiner besten Seite. In tiefem Blau strahlte der Himmel, keine Wolke trübte das Firmament. Seit dem Aufbruch aus Frankfurt vor zweieinhalb Wochen hatte es nicht mehr geregnet. Jeden Tag gewann die Sonne an Kraft. Das Grün auf den Wiesen wurde kräftiger, auch an den Bäumen keimte es zart. Blau und gelb sprossen die ersten Frühlingsblumen auf den Wiesen, die weiße Blütenpracht des ersten Schlehdorns säumte die Wege. Sein Duft verwöhnte die Nasen. Sogar die ersten Hummeln und Schmetterlinge fühlten sich davon angezogen und tanzten munter durch die Luft. Hie und da bestellten Bauern die Felder, der größte Teil der Flächen lag allerdings brach. Löwenzahn, Sternmiere und Hornkraut überwucherten den Boden. Verkohlte Ruinen erinnerten daran, dass die Region auch zehn Jahre nach Ende des Großen Krieges weitgehend entvölkert war. Krähen und Elstern hatten sich in den alten Mauern eingenistet, zwischen den aufragenden Giebeln der verlassenen Gehöfte zogen Schwalbenschwärme ihre Bahnen.
Magdalenas Finger spielten mit dem Bernstein an der Lederschnur um ihren Hals. Aus tiefstem Herzen wünschte sie, der Stein zeigte ihr abermals den Weg zu ihrem geliebten Gemahl. Statt die gewohnte Kraft warm im Leib zu spüren, überlief sie ein kalter Schauder. Deutlich sah sie vor sich, wie Eric bei seiner Abreise gewesen war, unnahbar und fremd wie nie zuvor. Ein Gefrorener, ein Mann, der zahllose Gefahren überlebt hatte und darüber zu Eis erstarrt war.
Beklommen schluckte sie die ersten Tränen hinunter. Sie musste die düsteren Gedanken niederringen und den Augenblick genießen, genau so, wie sie es Adelaide geraten hatte. Behutsam wandte sie sich um und richtete ihr Augenmerk auf die Base. Die Mühsal der vielen Reisestunden in dem unkomfortablen Wagen war ihr trotz allen Jammerns kaum anzusehen. Der mit Rosenmustern durchwirkte Damast des schwarzen Kleides wirkte frisch wie am ersten Tag. Strikt achtete Adelaide darauf, dass ihr Haar glänzte. Haut und Fingernägel pflegte sie abends mit großer Geduld. Da sie meist ein Zimmer teilten, beobachtete Magdalena sie oft bei der Prozedur. Nie zuvor hatte sie wahrgenommen, wie viel Zeit die Base auf die Körperpflege verwendete. Sie selbst steckte die Nase lieber in eines der zerlesenen Bücher, die sie sich trotz des begrenzten Gepäcks in ansehnlicher Zahl eingesteckt hatte. Mit Lesen fand sie die Stunden vor dem Einschlafen besser genutzt als mit Nägel polieren oder Haare waschen.
Adelaide bemerkte ihren Blick, beugte sich vor und tätschelte ihr das Knie. Sie lächelte. »Du siehst auch nicht so aus, als würdest du den Augenblick sonderlich genießen, meine Liebe. Sei ehrlich: Völlig unbeschwert bist auch du nicht nach Königsberg unterwegs. Wie auch: Erics verlogene Abreise ist einfach ungeheuerlich. Wenigstens dich hätte er in seine Pläne einweihen müssen. Er weiß doch, wie sehr er auf dich zählen kann, meine Liebe, nach allem, was ihr beide im Großen Krieg miteinander durchlitten habt.« Sie schlug die Augenlider auf und sah sie mitfühlend an.
Für einen Augenblick fühlte Magdalena sich gedemütigt. Sie rang nach Atem und hatte bereits eine böse Erwiderung auf der Zunge. Eine Base war wie die andere, schoss es ihr durch den Kopf. So eifersüchtig, wie früher Elsbeth auf ihr Glück mit Eric reagiert hatte, so gebärdete sich jetzt Adelaide. Beide aber hatte das Schicksal nicht sonderlich verwöhnt. Also war es an Magdalena, verständnisvoll zu bleiben.
»Es ist auch nicht das erste Mal, dass sich Eric heimlich aus deinem Leben schleicht, nicht wahr?«, fuhr Adelaide unerbittlich fort. Anmutig warf sie den Kopf nach hinten und strich einzelne Strähnen ihres schwarzen Haares aus der Stirn zurück. »Ist Eric damals nicht mit Elsbeth zusammen aus dem Lager verschwunden? Und Carlotta haben sie dir auch noch weggenommen! Mehr als zwei Jahre hast du nicht gewusst, wo sie stecken, ob sie überhaupt noch leben. Du Ärmste! Einfach bewundernswert, dass du Eric das nach Kriegsende verziehen und gewagt hast, mit ihm ein neues Leben in Frankfurt zu beginnen. Nach allem, was er dir angetan hatte, war das ganz und gar nicht selbstverständlich.«
Magdalena meinte, ein spöttisches Zucken um ihre Mundwinkel zu entdecken. Entschlossen richtete sie sich auf und stellte leise, aber bestimmt klar: »Elsbeth allein war daran schuld. Immerzu hat sie ihn mit falschen Nachrichten hingehalten, bis er geglaubt hat,
ich
hätte ihn und unser Kind verlassen. Erst auf dem
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